Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
Missionsstation übernehmen.“ Ein ganz
bestimmter Augenblick tauchte in ihrer Erinnerung wieder auf: als er im
Krankenbett lag und ihr ernst und feierlich von der Übernahme einer
Missionsstation berichtet und sie dann gefragt hatte, ob sie seine Frau werden
und ihn begleiten wolle. „Hast du mich nur geheiratet, weil du ...“ Sie konnte
nicht weitersprechen. „Aber nein,
Emma!“ Schwerfällig richtete er sich auf. „Nein, du hast nichts damit zu tun
...“ Sollte sie ihm sagen, dass sie das nicht glauben konnte? Sie wollte keinen
Streit, nicht jetzt. Also fragte sie: „Und, hast du herausgefunden, was mit ihr
passiert ist?“ „Nein“, antwortete er niedergeschlagen. „Ich denke, sie haben
sie getötet.“ „Die Eingeborenen?“ Er nickte. „Aber warum?“ Wieder schwieg er.
„Warum sollten sie das getan haben, Paul?“
Sein Blick wanderte zur
Decke, er presste die Lippen aufeinander, bis er endlich sagte: „Sie war schon
früher empfänglich für ... für alles Mystische. Sie war ein tief gläubiger
Mensch, aber sie war nie nur mit dem Wort zufrieden! Sie wollte Gott spüren !“ Er schien weit in die Vergangenheit
zurückzublicken. „Einmal, da war sie sechzehn, hat sie sich ohne Kleider, in
den Schnee gelegt. Sie hätte Visionen gehabt, wunderschöne Visionen, sagte sie
im Nachhinein. Aber wenn ich sie damals nicht da draußen hinter der Scheune
gefunden hätte, wäre sie erfroren.“ Sein Blick kehrte von weit her zu ihr
zurück. „Ich habe sie öfter gerettet. Aber diesmal bin ich zu spät gekommen
...“ Er verstummte.
Emma konnte nichts
erwidern. Sie war ihm gefolgt, weil sie mit ihm zusammen eine Aufgabe übernehmen
wollte. Aber sie brachte es nicht fertig, ihn jetzt anzuklagen. „Paul, du
konntest nicht dein ganzes Leben lang auf sie aufpassen“, sagte sie
schließlich, und sie hörte selbst, wie mechanisch es klang. „Du darfst dir
keine Vorwürfe machen, Paul.“ Sie drückte seine heiße Hand. Er war krank, und
sie war Krankenschwester ... „Emma“, sagte er, „du musst mir versprechen, wenn
ich ...“ „Psst.“ Sie legte einen Finger auf die Lippen. Doch er sprach weiter:
„... wenn Gott mich zu sich holt, dass du nach Hause reist. Du darfst nicht
allein hier bleiben.“ Er umschloss ihr Handgelenk. „Versprich mir das!“ „Aber
...“ Sie versuchte, zuversichtlich zu lächeln. „Du wirst wieder gesund ...“
Sein Griff wurde noch fester. „Emma, versprich es mir!“ War es Angst, die aus seinem
Blick sprach? „Versprich es!“ Sie
nickte. „Ja, ich verspreche es.“
Er sank auf das Kissen
zurück, und seine Züge entspannten sich. „Aber“, sagte sie, „du wirst wieder
gesund, und dann ...“ Sie suchte nach den richtigen Worten, „... und dann
fangen wir noch einmal von vorn an.“ Sie wusste nicht, ob sie wirklich daran
glaubte, aber in diesem Augenblick wünschte sie es sich. Ein wehmütiges Lächeln
legte sich über sein Gesicht. Hatte er eben „ja“ gemurmelt? Sein Blick ging in
die Ferne, galt nicht mehr ihr, dann schloss er erschöpft die Augen. Sie
unterdrückte die aufsteigenden Tränen. Tränen der Wut, der Trauer, der
Enttäuschung ... Ach, Paul, dachte sie, warum hast du mir nicht gleich dein
Geheimnis anvertraut? Du hättest uns damit so viele schwere Zeiten erspart! Du
hättest mich niemals fragen sollen, ob ich dich heiraten will! Seltsam, obwohl
sie begriffen hatte, dass er nicht sie, sondern seine Schwester liebte, rührte er sie. Vielleicht, weil sie nun wusste,
dass er doch lieben konnte.
In dieser Nacht wich sie
nicht von seiner Seite. Sie erneuerte die Umschläge, flößte ihm Wasser ein und
betete. Die Kerosinlampe erlosch, sie schob sich einen Stuhl an sein Bett,
nickte ein, fuhr wieder hoch, befeuchtete seine Stirn, betete, schlief für
Minuten wieder ein. Sie wachte wieder auf und erinnerte sich an die Nächte an
Deck der Britannia , wie sie den Sternenhimmel betrachteten und die
salzige Luft einatmeten, wie sie das Meer im Mondschein schimmern sahen
...
Irgendwann in der Nacht
war sie plötzlich überzeugt, an Pauls Krankheit schuld zu sein. Gott strafte
sie für ihre Untreue! Robert Gordon hatte sie in Versuchung geführt! Immer
tiefer wurde sie in den Strudel dieser Gewissheit gerissen. Sie trug die Schuld an dem Unheil, das
über Neumünster hereingebrochen war! Ihr war, als greife eine kalte eiserne
Hand nach ihrem Herzen, presste es zusammen, packte sie am Hals und
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