Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
was er da
drin mit ihm anstellt?“
Nein, das wusste sie
nicht, und natürlich fragte sie sich das auch. Aber sie hatte keine andere
Wahl. Ich werde jetzt da hineingehen!“ Schon machte er einen großen Schritt auf
die Tür zu, doch sie versperrte ihm den Weg. „Nein, John, das werden Sie
nicht!“ Mit geballten Fäusten und zusammengepressten Lippen stand er ganz nah
vor ihr, die Adern pochten an seinen Schläfen. Doch Emma wich nicht von der
Stelle. „Das ist Gotteslästerei, Emma!“, sagte er, machte auf dem Absatz kehrt
und ging schnell hinaus.
Sie wusste nicht, wie
viel Zeit verstrichen war. Es mussten Stunden gewesen sein, denn die Sonne
stand bereits sehr tief, und ihre warmen Strahlen fielen durch die Fenster ins
Haus. Wirinun stand in der geöffneten Schlafzimmertür, seine Augen hatten einen
entrückten Ausdruck angenommen. Ohne Emma anzusehen, wankte er durch den Raum
zur Haustür und ging hinaus. Ihr Herz klopfte bis zum Hals. Wovor hatte sie
Angst? Vor dem Anblick eines blutverschmierten Bettes, vor zerrissenen Laken
und zerstochenen Kissen? Davor, dass sie doch die falsche Entscheidung
getroffen und Wirinun vertraut hatte?
Zögernd ging sie ins
Schlafzimmer. Paul hatte die Augen geschlossen und schlief. Seine Züge waren
entspannt, sein Atem ging gleichmäßiger. Seine Hand fühlte sich warm, aber
nicht mehr heiß an. „Danke, Herr“, murmelte sie erleichtert und sank auf die
Bettkante. Ihr war zum Weinen zumute, aber es kam keine Träne. John stürzte
herein. Zuerst starrte er Paul, dann Emma an. Da schlug Paul die Augen auf. Sie
waren klar und hatten ihr fiebriges Glühen verloren. Sogar ein Lächeln glaubte
Emma zu erkennen, dann schlief er wieder ein.
John warf Emma noch
einen Blick zu, den sie nicht deuten konnte, dann ging er wortlos hinaus. Paul
schlief den restlichen Tag und die ganze Nacht. Emma saß bei ihm, fühlte den
Puls, der kräftiger wurde, sie horchte auf seinen regelmäßigen Atem und legte
die Hand auf seine Stirn, die nicht mehr glühte. Was hatte Wirinun getan? Wie
hatte er das Fieber bekämpft? Das konnte nur Gottes Werk sein. Er hatte ihr
Wirinun geschickt. Ungeduldig wartete sie darauf, dass Paul aufwachte, um ihm
von Gottes Wunder berichten zu können.
Am darauffolgenden Nachmittag
schlug Paul endlich wieder die Augen auf. Emma ließ ihm von Amboora eine Suppe
bringen. „Wie lange habe ich hier gelegen?“, fragte er und gab Emma den leeren
Teller zurück. „Zwei Tage.“ „Ich habe ein weißes Licht gesehen“, sagte er
leise. „Ein weißes, wunderbares Licht ...“ Sein Blick verlor sich. „Aber Gott
hat mich noch nicht ganz bei sich haben wollen.“ Sie nahm seine Hand und
lächelte. Er lächelte auch. Da wusste sie, dass sich alles zum Guten wenden
würde. Warum sonst hätte Gott dieses Wunder vollbracht?
Als John nach Paul sehen
wollte, schickte Emma ihn hinaus. Paul müsse sich ausruhen. Sie wollte nicht,
dass die beiden Männer sich sahen. In dieser Nacht gönnte sie sich ein wenig
Schlaf. Hin und wieder schreckte sie hoch, weil sie geträumt hatte, dass Paul
fieberte und im Sterben lag, doch dann hörte sie seinen gleichmäßigen Atem und
schlief wieder ein.
John ging langsam durch
das Kirchenschiff. Vor der Stufe zum Altar blieb er stehen, fiel auf die Knie,
faltete die Hände und sah hinauf zum Holzkreuz. „Herr“, flüsterte er, „vergib
mir, aber ich verstehe dich nicht. Wie kannst du es zulassen, dass ihre Götter
über dich triumphieren? Es wird nicht mehr lange dauern, und sie werden dich
verhöhnen, sie werden dein Kreuz wieder von der Wand reißen und auf dem Boden
zerschmettern, sie werden deinen Namen mit Füßen treten ... und vielleicht
werden sie auch uns töten, so wie unsere Vorgänger!“ Wut und Ohnmacht nahmen
ihm den Atem. „Gib mir eine Antwort, Herr! Willst du mich auf die Probe
stellen? Habe ich nicht schon genug mitgemacht? Habe ich nicht genug getan?
Habe ich nicht genug verziehen? Kann ein Mensch überhaupt so viel verzeihen wie
ich?“
Sogleich schämte er sich
für seine Worte. „Vergib mir, Herr! Vergib mir! Warum zeigst du mir nur deine
Grausamkeit?“ Er schüttelte heftig den Kopf, als könne er so die auftauchenden
Bilder aus seiner Erinnerung herausschleudern. „Herr! Bitte lass nicht zu, dass
ich mich von dir abwende, gib mir ein Zeichen, gib uns allen ein Zeichen von
deiner Herrlichkeit, von deiner Barmherzigkeit, von deiner ... deiner Liebe!“
Seine
Weitere Kostenlose Bücher