Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
Emig mir bis auf den Grund meiner Seele
sehen, dachte John. „Ja?“ „Sehen Sie mir die Fragerei nach, aber ich habe auch
mit Pastor Gingrich darüber gesprochen, als es um Ihre Bewerbung ging ...“ John
hielt den Atem an. „Ja?“ Pastor Emig räusperte sich. Ein Speicheltropfen klebte
an seinem linken Mundwinkel, beobachtete John, und würde gleich vom Backenbart
aufgesogen werden, ein Hund bellte irgendwo, Kinder ... „Sind Sie ...“ Die
Stimme riss ihn wieder zurück. „Sind Sie immer noch sicher, dass Sie dieser
Aufgabe gewachsen sind, John?“ Er konnte sich nicht gegen den Blick Emigs
wehren, der immer tiefer in ihn eindrang. „Aber warum fragen Sie?“ Was wollte
der Pastor von ihm, was wollte er erzwingen? Emig lächelte ihn an. „Ja, Sie
haben Recht. Sie sollen wissen, wir haben großen Respekt vor Ihnen. Die Liebe
Gottes hat Sie gerettet.“ John nickte müde. Warum konnte Pastor Emig nicht
einfach aufhören zu reden? „Ich wollte Ihnen noch etwas sagen.“ Pastor Emig
machte eine Kunstpause. John horchte auf. Vertraulich beugte sich der alte Pastor
zu John und sagte leise: „Pastor Paul Schott hat alles daran gesetzt, diese
Missionsstation zu übernehmen.“ „Tatsächlich? Und warum?“ Pastor Emig
schüttelte seinen Kopf mit dem
weißen Haar. „Nun, lieber John“, seine Stimme hatte fast wieder die normale
Lautstärke angenommen, „das weiß ich auch nicht. Ich will nur, dass Sie wissen:
Pastor Schott ist der beste Mann, den wir uns wünschen konnten. Er wird sich
mit all seiner Kraft dieser Aufgabe widmen. Sie können sich auf ihn verlassen.“
„Sicher, und Sie können sich auf mich verlassen.“ Sein Blick fiel auf die Hand des Alten, die auf dem Knauf seines
knorrigen Krückstocks lag. Eine weiße Hand, übersät mit Altersflecken und
rötlich blauen Adern. John Wittling musste den Blick abwenden und sah genau in
die Augen von Pastor Emig. Rasch versuchte John Wittling seinem Lächeln etwas
Devotes zu geben. „Danke“, sagte Pastor Emig und seufzte. „Vielleicht klärt
sich ja auch noch alles auf.“ Seine Stirn legte sich wieder in Falten. Doch
dann flackerten seine hellen grauen Augen auf. „Ich begreife einfach nicht, “,
er stieß seinen Krückstock nachdrücklich auf die Dielen der Veranda, „was sich
in Neumünster abgespielt hat!“ John war von der heftigen Reaktion des Alten
überrascht. Emig würde noch lange nicht abtreten. „Wir hätten bei der Regierung
mehr Druck machen sollen“, wagte er zu sagen. „Damit die Gewalt von neuem
eskaliert? Strafexpeditionen angeordnet werden?“ Der alte Mann schüttelte sein
weißes Haupt. „Nein, das ist nicht der Weg, den Jesus beschreiten würde.“ John
nickte. Ja, damit hatte er Recht. Jesus vergab den Sündern. Jesus heilte die
Kranken. Jesus hat für uns sterben müssen. Herr, ich bin nicht würdig ... Der
alte Pastor trat neben ihn ans Geländer und sah hoch in den metallisch blauen
Himmel. „Möge der Herr Ihnen beistehen, John.“ „Ja“, sagte John, darum betete
auch er.
Eleanor Ruby, die Vorsitzende des Vereins
„Freunde der Eingeborenen“, trat auf die Veranda. Die dicke Matrone, deren
schwabbeliges Kinn bei jedem ihrer kleinen, hastigen Schritte zitterte, gehörte
Johns Ansicht nach zu den Menschen, denen es an Selbstdisziplin mangelte. Er
wollte sich verächtlich abwenden, doch da zwängte sie sich schon zwischen drei
Herren hindurch und kam in ihrem wogenden rotbraunen Kleid direkt auf ihn zu.
Mit hoher, lauter Stimme, die ihm durch Mark und Bein ging, rief sie: „Ach,
Pastor Emig, Mister Wittling, nun probieren Sie doch endlich was von meinen
Fleischpastetchen! Sonst sind sie ja vor Hunger umgefallen, bevor unsere Gäste
erscheinen!“ Sie glotzte Wittling mit ihren riesengroßen, triefenden Augen an
und hielt ihm ein Tablett mit braunen Teighäufchen, denen ein starker Geruch
nach Schweinefleisch entströmte, direkt vors Gesicht. Er musste den Atem
anhalten. Pastor Emig streckte seine gichtigen Hände aus, und ein Häufchen
verschwand in seinem Mund. „Danke, danke, gleich!“, brachte John hastig hervor
und konnte nicht vermeiden, dabei
Luft zu holen. Oh, wie er diese Tiere und ihren penetranten Geruch
verabscheute! Er hatte ihn in der Nase, im Mund gehabt – ja, überall an
sich gerochen. Alles Waschen und Schrubben hatte nichts geholfen, der Gestank
hatte an ihm tagelang gehangen wie eine alte Haut. Sie, die Kinder, hatten ihn
da
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