Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
einem
Landschaftsgemälde von einem gewissen Hans Heysen, die Emma jedoch kaum noch
wahrnahm. Sie war viel zu aufgeregt und zugleich zu erschöpft. Doch Pastor Emig
schien ihre Erwchöpfung nicht wahrzunehmen. In begeisterte Erläuterungen
vertieft, führte er sie weiter durch alle Räume, in denen Emma vor allem die
gehäkelten Deckchen und Kissen auffielen.
Auf die Wandbehänge über den Türstöcken waren Sprüche gestickt, wie „Ein
froher Gast ist niemand’s Last“, und „Gott schütze dieses Haus“. Die Küche
schließlich, über deren Tür der gestickte Spruch „Gib uns unser täglich Brot“
hing, konnten sie nicht betreten, weil die Frauen gerade damit beschäftigt
waren, die Platten und Schüsseln mit dampfenden Speisen zu füllen. Jetzt erst
fiel Emma auf, dass es im ganzen Haus nach Essen duftete, nach gebratenem
Fleisch, Zwiebeln, Kartoffeln – und nach frischem Kuchen. Zuletzt hatten
sie auf dem Schiff ein karges Frühstück zu sich genommen, und dies lag Stunden
zurück. Den Rest der Führung nahm sie kaum noch wahr, sie versuchte sich an der
Seite von Paul zu halten und atmete auf, als Pastor Emig endlich ankündigte,
man wolle jetzt draußen im Freien an der langen Tafel Platz nehmen.
„Unsere Frauen haben tagelang gekocht!“, sagte er, als sie
über die Wiese gingen, die vom Wind gekämmt wurde. „Alles, was Sie gleich
essen, stammt aus unseren Dörfern. Auch der Wein!“ Emma hängte sich bei Paul
ein. Nach Wochen auf der Britannia , wo die Luft an Deck oft verqualmt
gewesen war, erschien es ihr wie ein Wunder, diese klare Luft zu atmen. Es
duftete nach Essen, nach Gras und Heu und Sommer, und Emma blinzelte hinauf in
die Sonne, die an einem unglaublich blauen Himmel stand. „Hier!“, sagte Pastor
Emig und deutete auf die Stirnseite der langen Tafel. „Sie beide sitzen neben
mir!“ Die anderen Gäste nahmen an der langen weißen Tafel Platz. Emma
registrierte erleichtert, dass John Wittling nicht direkt neben ihr saß,
sondern mehrere Plätze entfernt. „Wir wollen beten!“ Pastor Emig faltete die
Hände, und alle am Tisch taten es ihm nach und senkten den Kopf. Erst nachdem
alle ein befreites Amen gesprochen hatten, kamen die Dienstmädchen in langen
Schürzen und mit Hauben auf ihrem geflochtenen Haar herangeeilt, Schüsseln und
Töpfe mit dampfenden und duftenden Speisen auf großen Tabletts balancierend.
Wie schön es hier ist, dachte Emma. Ich bin sicher, alles wird gut werden.
John Wittling schöpfte
aus einer Porzellanschüssel eine große Kelle mit dampfendem Kaninchenragout.
Kaninchen gab es hier in Hülle und Fülle, und es schmeckte glücklicherweise
auch. Besser jedenfalls als Känguru, das mochte er nicht, hatte er noch nie
gemocht. Mehr noch als Kaninchen war es das Essen der armen Leute auf den
abgelegenen Farmen, nein - daran wollte er nicht erinnert werden. „Nehmen Sie
doch noch Kohl!“ Eleanor Ruby, die ihm leider gegenübersaß, hielt ihm einen
tiefen Teller mit dunkelgrünen verkochten Blättern entgegen. „Mein Stolz!“ Oh
ja, das wusste er. Eleanor Rubys Kohlköpfe waren die größten in ganz Tanunda.
Wie macht sie das bloß?, fragten die anderen Frauen, die auch Gemüsegärten
angelegt hatten. Sie muss irgendeine geheime Düngemischung haben!, sagten die
einen, während die anderen an eine verborgene Wasserader oder ein besonderes
Gestein glaubten ... Er schüttelte den Kopf, „nein, danke“, und hob abwehrend
die Hand. Abgesehen davon, dass er Kohl nicht mochte, wenn er ihn auch nicht
ganz so verabscheute wie Schweinefleisch, so wollte er sich auch nicht
vorstellen müssen, was Eleanor Ruby zum Düngen ihres Kohls benutzte. Er hielt
sich lieber an den Kartoffelbrei, der, soweit er wusste, nicht aus Eleanor
Rubys Kartoffeln hergestellt worden war.
Sein Blick wanderte
immer wieder zum rechten Tischende. Dort saßen sie: Pastor Emig mit Pastor
Schott auf der einen und seine Frau Emma auf der anderen Seite. Paul Schott war
größer als er – und ... er suchte nach dem richtigen Wort ... kräftig, ja
massig. Nicht nur seine Statur, sondern auch sein Aussehen ließen ihn sofort
auffallen. Auch jetzt, am Tisch, neben Pastor Emigs weißem Haupt nahm sich Paul
Schott mit dem kupferfarbenen Haar und dem breiten, Tatkraft ausstrahlenden
Kinn mit dem Grübchen eindrucksvoll aus. Ein Mann, dem man vertrauen konnte,
ein Mann, dem man die Leitung einer Missionsstation weit draußen in
Zentralaustralien
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