Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
Keil ihr zu. Die Straße machte eine
leichte Biegung, und plötzlich stürmte ihnen rufend und winkend eine Horde
Kinder entgegen, freudig bellende Hunde sprangen um sie herum. Die Musiker
legten sich noch mehr ins Zeug, bliesen aus Leibeskräften in ihre Posaunen und
Trompeten, und Emma fühlte sich zurückversetzt in ihre Kindheit, wenn sie mit
ihren Großeltern zu einem Fest der Feuerwehr ging. Auf der Veranda eines der
flachen, lang gezogenen Steinhäuser standen Menschen und winkten ihnen zu.
Was für ein Empfang!,
dachte sie aufgeregt. „He, Kinder, Achtung!“, rief Albert Keil und lenkte die
Pferde vorsichtig weiter, bis er sie mit einem energischen Zügelzug zum Stehen brachte.
Paul sprang augenblicklich hinunter, und bevor er auf die andere Seite eilen
und Emma helfen konnte, war Albert Keil schon zur Stelle. Die Gäste eilten von
der Veranda und umringten die Ankommenden unter lauten Willkommensrufen. Paul
und Emma schüttelten viele Hände, bis eine dröhnende Stimme sagte: „Willkommen
in Tanunda!“ Ein stattlicher Mann mit ungewöhnlich vollem weißen Haar trat, auf
einen Stock gestützt, auf Paul zu. „Ich bin Pastor Emig – und sie müssten
Pastor Schott sein!“ Alle lachten, und die beiden Männer schüttelten sich
herzlich die Hand. „Und ganz besonders willkommen heißen wir natürlich auch die
Gemahlin.“ Er machte eine leichte Verbeugung. Emma fasste sofort Vertrauen zu
diesem alten Mann, der sie mit klaren hellgrauen Augen ansah. „Kommen Sie,
kommen Sie, und fühlen Sie sich wie daheim!“ Man setzte sich wieder in Bewegung
und steuerte auf das Haus zu. Die Kapelle, die ihr Spiel unterbrochen hatte,
setzte wieder ein. Was für ein wundervoller Empfang!, dachte Emma wieder
– und sie war plötzlich sicher, dass sie in diesem Land glücklich werden
würde.
„Liebe Frau Schott! Sie sehen ganz blass
aus!“ Pastor Emigs Frau lächelte sie freundlich an. Ihr weißes Haar war zu
einem altmodischen Knoten zusammengesteckt. „Ach, nein, es ist nichts!“ Emma
schüttelte den Kopf und versuchte zu lächeln. Sie fühlte sich unendlich
erschöpft. Endlich war eine schwere Last von ihr abgefallen. „Es ist die lange
Reise.“ „Frau Schott!“ Pastor Emig hatte sich zu Emma herumgedreht. „Sie müssen
doch Ihren Mitarbeiter kennen lernen!“ Er wies auf einen schlanken, sehr
gepflegt wirkenden dunkelblonden Mann neben sich, der nur wenig größer war als
sie selbst und sie aus dunklen, tief liegenden Augen argwöhnisch ansah. Was hat
er gegen mich, schoss es Emma sofort durch den Kopf. „John Wittling”, stellte
Emig ihn vor. „Seine Frau Isabel wird nachkommen, nicht wahr, John.“ „Ja, sie
ist noch in Glenelg am Meer“, antwortete der Mann. Emma fiel ein Stein vom
Herzen, da wäre also noch eine Frau, jemand, mit dem sie reden konnte. „Ich
freue mich“, sagte sie höflich und versuchte ein Lächeln. John Wittling
erwiderte es gezwungen. Die
dunklen, fein geformten Lippen in dem olivfarbenen Gesicht zuckten. Sie war
verwirrt. Bildete sie sich seine Feindseligkeit nur ein?
Zuerst lud Pastor Emig
Emma und Paul zu einer kurzen Führung durch das Haus ein. Die vier Kinder der
Emigs waren längst erwachsen und lebten in Adelaide, erklärte er und zeigte
dann auf einen Schrank aus dunklem Holz, dessen feine Schnitzereien er
besonders hervorhob. „Von einem der ersten Lutheraner hier gefertigt. Karl
Launer! Sehen Sie doch nur!“ Er fuhr andächtig mit der Hand über eine Wölbung
in der Türverzierung. „Eine wundervolle Arbeit! Er ist später von hier nach
Amerika ausgewandert, seinem Sohn dorthin gefolgt! Und hier“, er zeigte auf ein
Landschaftsgemälde, das einen weißen Baum vor einem purpurnen Berg abbildete,
„das hat ein Eingeborener gemalt!“ Emma warf einen längeren Blick darauf. Es
war anders als die Landschaftsbilder, die sie bisher gesehen hatte. Die Farben
erschienen ihr klarer, die Umrisse schärfer – die Sonne, die diese
Landschaft mit den purpurnen Bergen vor einem azurblauen Himmel so erstrahlen
ließ, musste unglaublich hell sein. Purpurne Berge, dachte sie und konnte sich
von dem Anblick nicht losreißen. „Ich sehe, das Bild gefällt Ihnen.“ Pastor
Emig warf ihr einen Blick zu. „Ein eingeborener Maler, er war so hoffnungsvoll,
und dann ...“ Sie sah ihn fragend an. „Was?“ „Dann ...“ Er zögerte, zuckte die
Schultern. „Aber kommen Sie weiter!“ Es folgten Erklärungen zu
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