Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
zutraute! Auch als er Paul Schotts Hand geschüttelt hatte und
der ihn dabei so freundschaftlich ansah, da hatte er sich nicht unwohl gefühlt,
das musste er zugeben. John sah hinüber zu seiner Frau Emma. Sie hatte ein
gefälliges Gesicht, glatte, helle Haut - nur der Mund war vielleicht ein wenig
zu groß, und die Nase, die war nicht so fein wie die von Isabel ... Wusste sie,
dass ihr Mann unbedingt die Mission übernehmen wollte? War es überhaupt ein
Geheimnis? Vielleicht übertrieb Pastor Emig ja auch nur. Er benahm sich manchmal
merkwürdig. Von einer Minute auf die andere konnte seine Stimmung umschlagen.
Das musste am Alter liegen. John nahm eine weitere Gabel Kaninchenragout und
sah wieder zu Emma Schott hinüber. Eine naive junge Frau, die wahrscheinlich
voller Idealismus war, der nur enttäuscht werden konnte – und die alles
tat, was ihr Mann von ihr verlangte ... kein eigenständiges Wesen! Nicht so wie
Isabel ... Isabel war eigenständig! Sie war nicht naiv! Ganz und gar
nicht!
Aus den Augenwinkeln
riskierte er einen weiteren Blick. Wie sie an den Lippen ihres Mannes hängt!
Sie hat keine eigene Meinung. Sie bewundert ihn – und wagt keinen
Widerspruch! John Wittling konnte sich ausmalen, wie sich diese Verhältnis auf
der Missionsstation noch verstärken würde. John griff zu seinem Glas Wasser.
Paul Schott würde keine andere Meinung neben sich dulden. „Schmeckt es Ihnen?“
Seine Nachbarin zur Linken, Gerda Kunze aus Hahndorf – Lehrerin an der
dortigen Schule -, lächelte ihn an und entblößte zwei große Schneidezähne. „Ausgezeichnet!“,
versicherte er unter heftigem Nicken und hoffte, sie würde aufhören zu lächeln
– und zu sprechen, „ganz vorzüglich!“ „Probieren Sie die Karotten. Sie
sind aus unserem Garten!“, erwiderte sie jedoch und strahlte ihn an. Ihm blieb
nichts anderes übrig, als die Schüssel zu nehmen, die sie ihm bereits unter die
Nase hielt. Während er sich zwischen Kartoffelbrei und Kaninchenragout zwei
Löffel Karottengemüse auf den Teller lud, sah er noch einmal zu Emma hinüber.
Wie dünn sie war – fast knochig wirkte sie, ganz besonders neben ihrem
Mann. Würde sie überhaupt die Reise zur Missionsstation überstehen? Sie hatte
ja gar keine Ahnung, was sie erwartete! Er war sicher: Falls sie überhaupt die
Reise nach Neumünster überstehen würde – und daran zweifelte er doch sehr
–, würde sie spätestens nach den ersten vier Wochen auf der
Missionsstation zusammenbrechen. Wie viele Frauen wurden einfach krank und
schwach - bis sie schließlich jämmerlich starben? Fast hätte er geseufzt,
erinnerte sich dann aber daran, dass er mitten unter Menschen saß, die ihn
sofort fragen würden, ob ihn etwas bekümmerte. Wie sie lacht! Er fing ihren
Blick auf, sie lächelte ihn an. Er nickte kurz und rang sich ein schnelles
Lächeln ab, widmete sich dann sofort wieder seinem Teller. Sie wird sich dieses
Lächeln abgewöhnen müssen, dachte er, wie soll sie damit den Eingeborenen und
den Viehtreibern begegnen, diesen rohen Menschen, die das Lächeln einer Frau
als Aufforderung auffassen ... Isabel lächelte niemals so – nein, niemals
...
Emma, die
sich schon ganz schwach vor Hunger fühlte, hatte dankbar jede Schüssel und jede
Platte angenommen, die man ihr gereicht hatte: Laibe von knusprigem Brot,
würzige Würste, duftende Karotten, grüne Bohnen mit Speck, Kaninchenragout mit
Lorbeer, Berge von Kartoffelbrei mit gebratenen Zwiebeln, gekochter Kohl,
saftige Aprikosen und blaue Pflaumen. „Jetzt essen Sie erst mal!“ hatte Pastor
Emigs Frau, die neben Emma Platz genommen hatte, gesagt. Jetzt, nachdem Emma
die ersten Bissen gegessen hatte, fühlte sie, wie ihre Kräfte zurückkehrten und
sie wahrnehmen konnte, was um sie herum geschah. Ihr Blick fiel auf John
Wittling, der gerade mit der ungeheuer dicken, aber dauernd herzlich lachenden
Frau sprach, sich aber nicht wohl dabei zu fühlen schien. Alles an ihm wirkte
steif. Sein Haar, das akkurat gescheitelt war und wie an den Kopf geklebt
wirkte, sein gestärkter, blütenweißer Hemdkragen, der faltenlose schwarze
Anzug. Und seine gepflegten Hände ... Sie hielten sich immer an irgendetwas
fest, am Besteck oder an sich selbst. Er hatte ihr nicht die Hand geschüttelt,
erinnerte sich Emma. Wahrscheinlich, dachte sie, ist er wegen seiner Frau
angespannt? Bestimmt macht er sich Sorgen um sie. Da, er sah zu ihr herüber
– sie fing seinen Blick
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