Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
starrte auf das geblümte Muster der Bettdecke. Sie wartete. „Emma“, sagte
er schließlich, seine Stimme klang wieder ruhig. „Ich wollte dich nicht unnötig
aufregen. Es gibt Gerüchte ...“ „Was für Gerüchte?“ Er wandte den Blick von ihr
ab und sagte nüchtern: „Pastor Hermann Weiß und seine Frau sind vor anderthalb
Jahren wahrscheinlich von Eingeborenen verschleppt worden.“ Ein Schauer lief
ihr über den Rücken. Und mit einem Mal wurde ihr die Ungeheuerlichkeit dessen
bewusst, was gerade geschehen war. „Warum hast du mir das nicht von Anfang an
gesagt? Hast du das denn schon ... schon zu Hause gewusst? Du hast mich angelogen,
Paul! Du hast mir die ganze Zeit die Wahrheit vorent -!“ „Schweig!“ Sein
herrischer Ton ließ sie augenblicklich verstummen. So hatte er sie noch nie
angefahren ... Er hasst mich ... Er liebt mich nicht mehr ... Er hat mich
vielleicht nie geliebt ... Aber die Wochen auf dem Schiff, all die Nächte, die
Augenblicke ... Da war der Brief ... Alles war ein großer Irrtum ... „Was
siehst du mich so an?“ Sie zuckte zusammen, sie fürchtete sich vor diesem Mann.
Wer war er wirklich? Was verheimlichte er noch alles vor ihr? Da packte er sie
an den Oberarmen, erschreckt wollte sie sich ducken, doch er schüttelte sie und
starrte sie dabei mit diesem irren, fremden Blick an. „Du bist mein Weib! Du
hast es vor Gott geschworen! Du musst mir folgen! Hast du das verstanden?“ Noch
nie hatte er so mit ihr gesprochen! Ihre Oberarme waren wie in einem
Schraubstock gefangen. „Aber Paul ... was ... was ist nur los mit dir?“,
brachte sie hervor. Sie starrte in dieses rot gefleckte Gesicht direkt vor sich
... „Ich hab’ dich gefragt, ob du das verstanden hast?“ Mechanisch nickte sie.
„Sag es!“ „Ich habe verstanden.“ War das ihre eigene Stimme? Der Griff lockerte
sich, seine Hände sanken herunter, aus seinen Augen verschwand das gefährliche
Flackern, seine Züge entspannten sich. „Gut“, sagte er noch, löschte das Licht,
ließ sich zurück ins Kissen sinken und drehte sich auf die Seite. Emma schlief
nicht. Dort, wo er sie gepackt hatte, spürte sie einen brennenden Schmerz, und
in ihren Ohren hallte seine herrische Stimme.
II
Das
fremde Land
1
Jalyuri wanderte über
den heißen Sand, aber er empfand keinen Schmerz, genauso wenig wie ihm die
spitzen Steine und die Dornen der Salzbüsche wehtaten. Seine Füße hatten eine
dicke Hornhaut, und seine Fußnägel waren lang genug, sodass sie seine Zehen
schützten. Er brauchte nicht viel Wasser und auch nicht viel Nahrung. Er war
ein Pintubi, einer, der in der Wüste geboren war, dessen Ahnen dort schon immer
gelebt hatten. In dem Land, aus dem er kam, kannte er jeden Stein, jeden Hügel
und jedes Wasserloch, wusste ihre Namen. Doch in das Land seiner Ahnen,
jenseits der Berge, würden sie nicht mehr zurückkehren, um dort zu leben. Die
Dürre war noch schlimmer geworden, es gäbe nichts zu jagen, kein Wasser, kein
Bush Tucker. Jungala, sein Sohn, war nie im Land seiner Ahnen gewesen. Eines
Tages, da war Jalyuri ganz sicher, würde er mit Jungala in das Land seiner
Ahnen wandern und ihm zeigen, woher er kam. Und er selbst, Jalyuri, würde
schließlich dorthin zurückkehren, um zu sterben.
Vor ein paar Tagen war
er bei seinem Onkel in dem Ort gewesen, den die Weißen Stuart nannten. Er lag
vier Tagesmärsche vom Lager bei der Missionsstation entfernt, am Fluss, der
schon so lange ausgetrocknet war. In seinem Flussbett wuchsen die Geisterbäume,
unter denen sich die Leute versammelten,
feierten, Beratungen abhielten, Lager aufschlugen. Dort hatte er
erfahren, dass neue Missionare unterwegs waren. Seine Leute würden sich sicher
darüber freuen, denn sie bräuchten nicht mehr zu hungern, und Jungala würde
lesen und schreiben und die englische Sprache lernen. Jalyuri wusste: Jungala
könnte nicht mehr so leben wie seine Väter und Mütter. Die Zeit änderte sich,
aber das Land und die Gesetze blieben, sagten die Ältesten. Aber auch diese
Wahrheit war vielleicht keine mehr ...
In diese Gedanken
vertieft, ging er dahin. Was hatte sie, die Weißen, nur in dieses Land
getrieben? Das fragte er sich immer wieder. Unter großen Mühen hatten sie
Häuser aus Steinen gebaut. Darin war es ihnen zu kalt oder zu heiß. Alles, was
sie brauchten, bekamen sie nicht, wie er und seine Leute und wie von alters her
seine Ahnen, von dem Land, durch das sie zogen, nein, sie
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