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Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)

Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)

Titel: Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuela Martini
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seinen
    gepflegten gezwirbelten blonden Schurrbart und schlürfte genussvoll den Tee. Er
    erzählte ihnen dabei von seiner Leidenschaft, die zugleich seine von der
    Universität Stockholm bezahlte Aufgabe war. „Wissen Sie ...“, sagte er, steckte
    sich einen von der Besitzerin des Hotels selbst gebackenen Keks in den Mund,
    schluckte und sprach weiter: „... diese Kulturen in lebensfeindlichen Gegenden
    gelten zu Unrecht als primitiv. Sie haben es geschafft, ihre Rasse über
    Jahrtausende fortzupflanzen, was, bitte schön, ist daran primitiv?“ Damit traf
    er Paul an einer empfindlichen Stelle und so ließ seine Reaktion nicht lange
    auf sich warten: „Lieber Herr Gustavsson, ich muss Sie schon darauf hinweisen,
    dass das Überleben einer Rasse allein nicht unbedingt für deren Wert spricht.
    Es geht doch eher um deren Stand der Kultur, wie zum Beispiel die Qualität
    ihres Glaubens, ihrer Moral, ihrer Gesetze ...“ „Oh, ich verstehe vollkommen,
    was Sie meinen, Herr Pastor“, fiel ihm Gustavsson gut gelaunt ins Wort, „aber
    überlegen Sie doch mal, das Christentum ist noch nicht einmal zweitausend Jahre
    alt, und wir reden hier von einer Rasse, die seit, nun, sagen wir, seit
    zwanzigtausend - manche Kollegen sprechen sogar von vierzigtausend –
    Jahren hier auf diesem Kontinent lebt, überlebt, sich fortpflanzt! Und –
    nein, lassen Sie mich das noch ausführen – und ein komplettes Weltbild
    und eine Erklärung der Welt entworfen hat! Haben Sie schon von der
    Regenbogenschlange gehört, die alles Leben geschaffen hat die und sich grausam
    wehrt, wenn man gegen ihre Gesetze verstößt?“ Paul lächelte dünn und machte
    eine abwehrende Geste. „Aber Herr Gustavsson, seien Sie mir nicht böse, aber
    solche, sagen wir, Naturreligionen sind doch auf jedem Kontinent zu finden! Und
    ob eine Rasse sich zehn-oder zwanzig-oder vierzigtausend Jahre lang
    fortpflanzt, ist doch noch lange kein Maßstab für deren Geisteskultur!“
    Carl Gustavsson wollte
    etwas erwidern, doch Paul sprach weiter: „Die Menschen hier lebten völlig
    isoliert, noch dazu auf einem so großen Gebiet. Es gab nur zwei Prinzipien, die
    sie beachten mussten. Erstens: Gehe deinen Feinden aus dem Weg, und zweitens:
    Bewahre die Geheimnisse, denn die bedeuten Macht.“ Der schwedische Gelehrte sah
    Paul über den Rand seiner Tasse an. Sein krummer Oberkörper mit dem langen Hals
    erinnerten Emma an eine vom Wind gebeugte Ähre. Er sagte eine Weile nichts, bis
    Paul sich Tee aus einer abgestoßenen Porzellankanne nachgeschenkt hatte und
    sich wieder aufrichtete, erst dann sagte er: „Ich schätze Ihren Ansatz, Herr
    Pastor!“ Daraufhin lachten beide. Ich müsste gar nicht anwesend sein, dachte
    Emma in einer Mischung aus Verärgerung und Niedergeschlagenheit und bemerkte in
    diesem Moment, wie die weiß gekleidete Frau mit ihrem Baby auf dem Arm aus der
    Tür trat. Emma stand auf und ging zu ihr.
    Die Frau hatte ein
    seltsam leeres Gesicht, fand Emma, das weder fröhlich noch traurig wirkte. Sie
    war auch heute wieder ganz in Weiß gekleidet. Sie trug sogar einen weißen
    Sonnenhut. Es ist bestimmt nicht leicht, dachte Emma, die Kleider während der
    Fahrt so sauber zu halten. Wusch sie sie jeden Abend im Hotel, wo sie
    übernachteten? Emma hatte ihr Kleid von gestern angezogen. Es war zwar hell,
    aber doch nicht so hell, dass man jeden Fleck darauf sah. Dazu trug sie die
    Schuhe mit den stabilen französischen Absätzen. Sie hoffte, sie würden die
    lange Reise überstehen.
    „Guten Morgen! Ich heiße
    Emma Schott. Wie übersteht das Kleine die Reise?“ „Oh, sie schreit, wie Sie
    sicher schon mitbekommen haben. Sie ist erst einen Monat alt. Ich bin übrigens
    Alma Kinsley.“ Sie lebte mit ihrem Mann und den drei Söhnen in Dalhousie, einer
    Station entlang der Viehtriebroute zwischen Stuart und Oodnadatta. Sie war zur
    Entbindung nach Adelaide ins Krankenhaus gefahren und hatte dann den letzten
    Monat dort bei der Familie ihrer Schwester verbracht. „Wissen Sie, es gibt
    einfach keinen Arzt, und Hebammen sind rar! Ich bin zur Geburt jedes Mal nach
    Adelaide gefahren.“ In Oodnadatta würde sie von ihrem Mann abgeholt werden.
    Selbst ihr Lächeln kam Emma nichts sagend vor. „Aber sehen Sie nur!“ Sie zeigte
    über Emmas Schulter. Emma drehte sich um. Ein paar Meter entfernt sah mit
    großen dunklen Augen ein Känguru hinter einem Busch hervor, und aus seinem
    Beutel ragte ein kleiner Kängurukopf mit langen Ohren. „Wir haben

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