Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
irgendetwas hielt sie zurück.
Sie ahnte, dass Dr. Brown sie mit demselben Blick ansehen würde, mit dem er Sam
taxiert hatte, und bei diesem Gedanken schauderte ihr. Emma wollte den Männern
folgen, doch der Arzt drehte sich abrupt um, streckte die Hand aus und hielt
sie zurück. „Aber ... Ich bin Krankenschwester“, brachte sie hervor. „Und ich
bin hier der Arzt“, blaffte er sie an. Augenblicklich blieb sie stehen. Ihr
blieb nichts anderes übrig, als zu warten. Unter dem kleinen Fenster neben der
Tür war eine schmale Holzbank. Obwohl sie den ganzen Tag im Zug gesessen hatte,
ging sie doch hin und setzte sich. Sie fühlte sich müde und kraftlos. Auf dem
Schiff war es ihr ganz anders gegangen. Sie war durch zu viele neue Eindrücke
erschöpft.
Die Bank war unbequem.
Sie faltete die Hände im Schoß. Wie lange war es her, dass sie ihr altes Leben
zurückgelassen hatte? Noch nicht einmal drei Monate – dabei kam es ihr
vor, als ob dieses alte Leben von einer anderen Emma geführt worden war. Aber
hier, war das hier denn ihr neues Leben, war sie die neue Emma, hineingeworfen
in eine andere Welt, mit neuen Regeln, Gesetzen und Geheimnissen, die sie nicht
kannte? Durch die nur angelehnte Tür drangen noch immer die Stimmen der
Kameltreiber. Ihr fielen Carl Gustavssons Worte ein: Schwarze Magie, hatte er
gesagt ... Aber war das nicht ein primitiver Aberglaube? Bevor sie weiter
darüber nachgrübeln konnte, kam der Arzt zurück. Seine Miene hatte sich noch
mehr verdüstert. „Was hat er?“, fragte sie und stand auf. Mit einer
Handbewegung wischte Dr. Brown ihre Frage weg. „Ich kann dem Mann nicht helfen. Ich
habe keine Ahnung, was er hat.“ „Aber ...“ Er schüttelte den Kopf und unterband
damit jeden Einwand. „Der Mann stirbt.“ Er zuckte die Schultern. „Ich kann
nichts mehr für ihn tun. Er braucht nur noch einen Pastor, und der ist jetzt
bei ihm.“ Emma starrte ihn fassungslos an. „Es tut mir Leid“, sagte er, „aber
jetzt entschuldigen Sie mich, ich hab’ alle Hände voll zu tun.“ Er schob sie
beiseite und wollte sich umdrehen, doch da hielt Emma ihn fest. „Moment! Können
Sie ihm nicht etwas gegen das Fieber geben?“ Feindselig sah er erst sie an und
dann ihre Hand, die seinen Arm umklammerte. Emma ließ seinen Arm los,
erschrocken über sich selbst. „Ja! Gegen das Fieber, gegen eine Infektion,
irgendwas!“ Er schüttelte den Kopf und gab ein Grunzen von sich. „Sie haben
keine Ahnung, Lady! Wissen Sie, was hier los ist?“ Sein Gesicht kam ihr
unangenehm nahe. „Da hinten habe ich zwei Männer, denen wurden die Augen
ausgestochen, und da draußen liegen vier tote Eingeborene, die wahrscheinlich
mit Strychnin vergiftet wurden.“ Emma starrte ihn an. „Und wissen Sie, warum?
Weil es hier um Pay Back geht. Wissen Sie was das ist?“ Sie schüttelte den
Kopf. „Vergeltung! Ja. Auge um Auge, Zahn um Zahn. So läuft das. Ihr Kranker
hat von einem Knochen gesprochen?“ „Ja“, sagte sie und allmählich verließ sie
der Mut. Sie schien nicht das Geringste zu begreifen. Er zog ein Skalpell aus
seiner Kitteltasche und zeigte damit auf sie, genau auf ihr Herz. „ Das machen sie. Telepathisch.“ Emma
hatte keine Ahnung, was der Arzt meinte. Waren hier denn alle verrückt? „Mit
dem Knochen auf einen zeigen – das ist ihre Art, sich zu rächen.“ Noch
immer begriff Emma nicht. „Was meinen Sie?“ „Die Eingeborenen! Sie nehmen einen
Gegenstand, der ihrem auserwählten Opfer gehört oder den dieser Mensch berührt
hat, oder sie nehmen einen Kochen – und damit ‚besingen’ sie ihr Opfer,
nennen Sie es meinetwegen ‚verhexen’. Die Eingeborenen behaupten, manchmal
rauben sie ihren Opfern das Nierenfett. Die Menschen werden krank und sterben.
Ich habe Untersuchungen gemacht. Die Menschen hatten plötzlich keinen Appetit
mehr und wurden apathisch, bis sie innerhalb von wenigen Tagen starben. Und das
Seltsame ist: Ich konnte keine Narben erkennen – aber die Nieren waren
geschrumpft.“ Emma schüttelte den Kopf. „Aber das ist doch unmöglich!“ Er hatte
nur noch eine müde Handbewegung für sie übrig. „Vielleicht sehen wir uns in ein
paar Jahren wieder, und Sie haben eine andere Meinung.“ Schon wollte er gehen,
hielt dann aber in der Bewegung inne. „Sie übernehmen Neumünster, habe ich gehört“,
sagte er fast beiläufig. Emma nickte. Er musterte sie, auf seiner Stirn
bildeten sich Falten. Irgendetwas wollte
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