Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
er sagen, doch er zögerte. „Sind Sie
schon lange verheiratet?“ Verblüfft und irritiert schüttelte sie den Kopf.
„Nein.“ Ohne ein weiteres Wort machte er auf dem Absatz kehrt, hielt dann aber
plötzlich inne und wandte sich noch einmal zu ihr um. „Ach ja, ich würde Ihnen
empfehlen, längere Röcke zu tragen.“ Damit verschwand er hinter einem der
Vorhänge. Emma sah an sich herunter, ihr Kleid endete eine Handbreit unter
ihrem Knie. Auf einmal fühlte sie sich nackt. „Ihr Mann leistet dem Kranken
noch Beistand.“ Sie sah auf. John war gekommen. „Er sagt, wir sollen schon zum
Hotel gehen und dort etwas essen.“ „Und?“, fragte sie spitz. „Wollen Sie das?“
Sofort schämte sie sich über ihren Ton. In Wahrheit ärgerte sie sich nicht über
ihn, sondern über Paul, weil er sie mit John allein ließ. John konnte nichts
dafür. „Ich jedenfalls habe Hunger“, sagte er ohne Regung. „Wenn Sie keinen
Hunger haben, müssen Sie nichts essen, dann begleite ich Sie nur ins Hotel.“
„Gehen wir“, murmelte sie nur. Er nahm ihren Koffer und ging voraus. Die Sonne
brannte nur noch als winziges Feuer weit in der Ferne, und alle Gegenstände und
Lebewesen waren zu dunklen Schatten verblasst.
8
Das Great Northern Hotel
war ein für diese Gegend imposantes doppelstöckiges Steingebäude. Inmitten der
Schuppen und verstreuten Gebäude wirkte es ein wenig zu groß geraten. Doch Emma
wurde rasch eines Besseren belehrt, denn als sie mit John den Eingangsraum
betrat, stolperte sie beinahe über einige Taschen und Koffer, die auf
einem Haufen lagen, als hätte
jemand sie mit einem riesigen Besen dorthin gekehrt. An der Theke drängte sich
eine Gruppe von Männern, die recht mitgenommen aussahen. Ihre beigefarbenen
Hosen waren verschmutzt, genauso wie ihre Hemden und Hüte, und sie rochen
streng, als wären sie seit Wochen auf dem Rücken von Pferden – oder von
Kamelen unterwegs gewesen. Emma erkannte Carl Gustavsson, er stand ganz vorn an
der Theke und überragte die anderen um fast einen ganzen Kopf. John blieb
stehen. „Wissen Sie jetzt, ob Sie hungrig sind?“ Warum war er nur so brüsk?
„Ja, ich weiß es“, sagte sie knapp. „Aha.“ Er hob die Augenbrauen. „Und?“ „Ich
werde etwas essen.“ Sie legte zwar keinen Wert darauf, den Abend in seiner
Gesellschaft zu verbringen – was nur sollte sie mit ihm reden? –,
aber sie verspürte tatsächlich Hunger. „Gut“, er nickte, „dann folgen Sie mir.“
Er nahm ihren Koffer wieder auf und ging voraus. Geschirrklappern und laute
Stimmen drangen ihnen entgegen, dicke Rauchschwaden und Biergeruch schlug ihr
entgegen. Oh, Gott, dachte sie, hier werde ich es nicht aushalten! John
steuerte auf einen Tisch zu, der an eine Wand mit einem großflächigen Gemälde
stieß: Männer auf Pferden, Afghanen und ihre Kamele und die Eisenbahn. Emma
versuchte, den Blicken der Männer, dem Recken ihrer Hälse keine Beachtung zu
schenken, doch ihre Nervosität wuchs, und als John ihr den Platz anbot, von dem
aus sie den Raum überblicken konnte, lehnte sie ab und wählte den anderen
Platz, von dem aus sie gegen die Wand mit dem Gemälde sah.
Ich hätte ihr den
besseren Platz überlassen, dachte John, aber wenn sie nicht will? Sie ist
gekränkt, weil ihr Mann sie allein gelassen hat. Er seufzte leise. Warum machte
er sich überhaupt so viele Gedanken über sie? Ich sollte damit aufhören, sagte
er sich und schob den Stuhl an den Tisch.
Emma versuchte, die
Blicke, die sie in ihrem Rücken spürte, zu ignorieren. Ich hätte nicht mit ihm
hierher gehen sollen, dachte sie, er ist mir unangenehm, überhaupt alles hier
ist mir unangenehm. Ich muss ein Gespräch beginnen, ich kann doch nicht den
ganzen Abend mit diesem Mann schweigend an einem Tisch sitzen. Also holte sie
Luft. „John?“ Sie bemühte sich um ein entspanntes Lächeln. „Was sind das alles
für Leute hier? Woher kommen sie, was machen sie?“ Er schien über ihre Frage
erleichtert zu sein, vielleicht, dachte sie, hatte er etwas Privates erwartet.
John ließ seinen Blick
über die Köpfe in dem verqualmten Raum wandern. Sie hat einen Anfang gemacht,
immerhin ... „Viele sind Arbeiter
an der Telegrafenstation, ziehen jahrelang durchs Land, reparieren die
Leitungen und Masten. Und die anderen“, er sah über die Schulter, „die anderen
sind Minenarbeiter, Goldsucher, Viehtreiber, Eisenbahnarbeiter ...“ Er hob
seinen Blick zu dem übergroßen
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