Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
eingenommen hatte, war fort. Hinter der
Theke aus dunklem Holz konnte Emma den Hinterkopf einer Frau erkennen, das
graue Haar zu einem Knoten gebunden. Als sich die Frau aufrichtete, zeigte sie
ein sonnenverbranntes, faltiges Gesicht. Sofort aber erhellte sich ihr Blick.
„Ah, Sie sind die Missionare für Neumünster!“ Wieder erklärte John, wie es sich
genau verhielt, worauf auch die Frau, die sich als Mrs. Warton, die Frau des
Wirts, entpuppte, Pastor Weiß
erwähnte.
„Es gab ein paar Leute,
die was gegen sie hatten, weil sie Deutsche waren.“ Sie zuckte die Schultern.
„Aber, mein Gott, ich frage Sie, was sollten sie denn wohl in dieser Einöde in
Neumünster ausspionieren? Die Leute sollten froh sein, dass sich überhaupt
jemand um die Schwarzen kümmert.“ Sie schüttelte den Kopf. „Ach, übrigens, da
drüben“, sie zeigte auf die Wand links von Emma, woraufhin Emma sich umdrehte
und auf eine Galerie gerahmter Fotos blickte, „in der vierten Reihe, das dritte
Bild, das sind sie. Hermann und Margarete Weiß.“
Emma machte einen
Schritt auf die Fotowand vor einer altrosafarbenen Tapete zu. Das Bild hing in
Augenhöhe, sodass sie es genau betrachten konnte. Ein Paar, er um die fünfzig,
sie kaum älter als Emma. Hermann Weiß hatte lichtes Haar, ein rundes, kräftiges
Bauerngesicht. Seine Lippen waren zusammengepresst, als wollte er etwas sagen,
was ihm aber verboten worden war. Sein Blick drückte Entschlossenheit und Härte
aus. Härte gegen sich selbst und gegen jeden anderen. Margaretes Gesicht war schmal,
ihre Haut wirkte durchscheinend, die Augen waren ungewöhnlich hell, sie zogen
den Blick des Gegenübers auf sich, lockten ihn ... und ließen ihn dann irgendwo
einfach los. Irritiert löste sich Emma von diesen Augen und betrachtete noch
einmal Hermann Weiß. Er schien den Fotografen direkt anzusehen ... und sie?
Margarete sah hindurch, durch die Kamera, durch den Fotografen ...
„Was ist?“ John Wittling sah sie erstaunt an. „Kennen Sie
sie?“ Aus ihren Gedanken aufgeschreckt, schüttelte Emma rasch den Kopf. „Nein“,
beeilte sie sich zu versichern, „ich habe sie noch nie gesehen.“ Das Foto
beunruhigte sie. Nicht nur das Foto, auch Sams rätselhafte Krankheit, die
gefangenen Eingeborenen, die scharf riechenden Kamele und ihre Treiber, die
Länge ihres Rocks. Sie wollte sich hinlegen, schlafen, nicht daran denken, was
morgen sein würde, oder in den folgenden Wochen, den Monaten, den Jahren in
Neumünster, einer abgelegenen Missionsstation mitten in diesem seltsamen Land
...
Nachdem sie die schmale,
knarrende Treppe in den ersten Stock hinaufgestiegen waren und in einem langen,
düsteren Gang standen, von dem verschiedene Türen abgingen, wünschte John Emma
eine gute Nacht. „Soll ich Ihnen den Koffer ins Zimmer tragen?“ „Danke“, sagte
sie nur, wobei sie ihm überließ, darüber nachzudenken, wofür sie sich bedankte.
Für den Abend, für die Gute-Nacht-Wünsche, das Koffertragen oder aber für das
Aufsperren der Tür, das er für sie übernahm. „Schlafen Sie gut“, sagte er noch,
stellte den Koffer ab, und als er ihr den Schlüssel gab, berührten sich ihre
Hände. Seine Augen glänzten dunkel, und er ... er stand da ... Hör auf!, schalt
sie sich und wandte sich mit einem hastig gemurmelten „Danke“ ab, das bildest
du dir alles nur ein.
11
Als sie die Tür hinter sich
schloss, glaubte sie für einen kurzen Augenblick, damit alles Beunruhigende
ausgesperrt zu haben. Eine Kerosinlampe stand auf einem der Nachttische. Sie
zündete sie an. Das Zimmer war von einer ernüchternden Kargheit. Ein Fenster,
ein Ehebett aus verschnörkelten Eisenstäben mit einer groben grauen Wolldecke,
über die ein Leintuch geschlagen war. Zwei dicke Kissen, die Bezüge nicht ganz
glatt, aber sauber, lehnten am Kopfende. Und gegenüber dem Bett, etwa zwei
Schritte weiter, blickte Emma in einen einfach gerahmten Spiegel vor einem
eisernen Waschtisch, auf dem ein Steinkrug mit Wasser stand. Die
fadenscheinigen Vorhänge wehten ins Zimmer, und ein eisiger Wind fuhr herein.
Schnell schloss sie das Fenster. Sie entkleidete sich und wusch sich mit dem Wasser
aus dem Steinkrug. Eilig schlüpfte sie in ihr Nachthemd, löschte das Licht,
schlug die Wolldecke zurück und legte sich ins Bett. Wie nicht anders zu
erwarten, war es kalt und klamm.
Wo blieb Paul? Warum kam
er nicht zu ihr? Sam, dieser Mann, war doch ein Fremder! Dr. Brown
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