Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
legte sich hin und zog die Decke über den Kopf. Vor
ihr erschien das Foto von Pastor Weiß und seiner Frau, die so nah nebeneinander
standen oder saßen, sich aber doch so fern waren. Der direkte Blick des
Pastors, der sagte: Hier bin ich, und das ist meine Aufgabe. Und ihr
unbestimmter Blick, der irgendetwas in der Ferne oder in der Zukunft oder
vielleicht ja auch in der Vergangenheit betrachtete, der Blick, der sagte, dass
sie sich nach irgendetwas sehnte ...
„Ich
habe ein Foto von ihnen gesehen“, hörte sie sich auf einmal sagen. Warum?
Spürte sie instinktiv, dass sie ihm damit weh tun oder in Verlegenheit bringen
konnte? „Von wem?“, fragte er überrascht. Sie schlug die Decke zurück, trotz
der Kälte, sie wollte die Reaktion in seinem Gesicht beobachten. „Hermann und
Margarete Weiß, ihr Foto hängt unten im Flur.“ Aus seinem irritierten Blick
wurde ein gezwungenes Lächeln. „Margarete soll verrückt geworden sein“, sagte
sie fast beiläufig. Er drehte sich um, das Hemd halb aufgeknöpft. „Wer
behauptet so etwas?“ „Der Wirt.“ Sein Mund zuckte. Doch dann sagte er in
ruhigerem Ton: „Gerede! Die Leute reden viel.“ „Vielleicht stimmt es ja“,
wandte sie vorsichtig ein. „Verrückt ... Was heißt das schon?“, sagte er
barsch. Er wusch sich Hände und Gesicht, löschte das Licht, zog sich im Dunkeln
aus, sodass Emma nur ganz undeutlich seine Silhouette im schwachen Licht, das
durch den fadenscheinigen Vorhang fiel, erkennen konnte. Als er zu ihr ins Bett
kam, spürte sie einen Widerstand in ihrem Körper. Sie wollte weiter von Paul
abrücken, doch seine Hand griff grob nach ihrer Brust, knetete sie hart,
während sein Atem heftiger wurde. Steif und kalt lag Emma da, als er sich auf
sie legte, sie mit kurzer Heftigkeit nahm und sich dann wortlos wegrollte. Sie
war noch wach, als er schon neben ihr schnarchte. Durch den Vorhang fiel
gedämpft das weiße Licht des Mondes, und sie dachte an den Winter zu Hause.
Wenn es geschneit hatte, wurde es in der Nacht auch nie richtig dunkel. Mit den
Gedanken an zu Hause schlief sie irgendwann ein.
Am Morgen wachte sie
verwirrt auf. Sie war nicht zu Hause und auch nicht bei ihren Großeltern. Erst
als sie Pauls roten Haarschopf neben sich auf dem Kissen erkannte und den
offenen Koffer auf dem Schemel neben dem Waschtisch, fiel es ihr ein. Sie war
in Marree – wo Afghanen lebten und Eingeborene, wo es keine weißen Frauen
gab, sondern Eingeborene mit Ketten an den Füßen ... und wo der Mann, den sie
geheiratet hatte, ihr immer fremder wurde.
Die ganze Nacht über
wälzte sich John in seinem schmalen Bett hin und her. Er warf sich auf den
Bauch, stülpte sich das Kissen über den Kopf, doch es half nicht, die quälenden
Gedanken und Gefühle zu ersticken. Wie nur sollte er die Zeit überstehen? Jeden
Tag wurde es schlimmer. Warum hatte Isabel ihn allein gelassen? Warum musste
sie krank werden? Sie hatte tatsächlich ein Telegramm geschickt. Es lag auf dem
Nachttisch. Er hatte es nur einmal gelesen, obwohl er sonst ihre Nachrichten
mehrmals las, weil er es genoss, sie vor sich zu sehen, wie sie den Text diktierte, wie sie aussah, was
sie trug ... aber jetzt?
Gib mir noch einen Monat Zeit, Gruß
– Deine Isabel
In einem Monat wären sie
auf der Missionsstation, hätten sich schon ein paar Tage eingewöhnt, sofern
alles ohne große Schwierigkeiten verlaufen würde, aber ... ihr Bild verblasste,
Tag für Tag mehr. Und er konnte nichts dagegen tun. Anstelle des Gesichts von
Isabel sah er jetzt immer häufer das von Emma. „Herr, ich bin schwach! Hilf
mir, nimm diese Gedanken von mir!“, betete er und versuchte Schlaf zu finden.
In dieser Nacht quälte ihn wieder sein alter Alptraum. Ein kleiner Junge war in
ein düsteres Zimmer eingesperrt und versuchte verzweifelt, die Ratten zu töten,
die sich unter der Türschwelle hindurch hereindrückten. Die Ratten wollten
seine Eltern und seine Geschwister fressen. Mit rasendem Herzen und klebrigem
Schweiß auf der Haut fuhr er aus dem Albtraum auf. Er war nicht neu, er hatte
ihn schon oft geträumt. Schließlich stand er auf und sah zum offenen Fenster
hinaus. Der Anblick der schlafenden Kamele und das kühle Licht des Mondes
beruhigten seine Nerven. Die letzten Stunden bis zum Morgengrauen setzte er
sich auf einen Stuhl und beobachtete, wie sich das Grau der Nacht ganz langsam
violett färbte, bis der Horizont zu brennen begann. Als sich die
Weitere Kostenlose Bücher