Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
dann unter die Decke. Wieder fröstelte sie. Bald
hörte sie Paul leise schnarchen und atmete erleichtert auf. Sie faltete die
Hände, starrte in die Dunkelheit und betete: „Herr, gib mir die Kraft, dass ich
die Aufgabe, die du mir zugedacht hast, erfüllen kann.“
16
Nach einem kräftigen
Frühstück, bestehend aus Tee, Brot und gebratenem Fleisch, machten sich Paul,
John und Emma durch die Stadt auf zu ihrem Transportunternehmer, in dessen
Schuppen ihr Gepäck seit gestern Abend aufbewahrt war. Jetzt, bei Tageslicht,
bemerkte Emma, dass die Stadt sich in drei verschiedene Viertel gliederte. Im
Viertel der Weißen standen die Steinhäuser, dort sah sie die Viehtreiber, ein
paar Kinder und sogar einige weiße Frauen. Dem Viertel gegenüber lag das der
Afghanen und Sikhs. Über dreihundert Kamele, hatte sie gehört, sollten hier
leben, was sie nicht bezweifelte: Die ganze Luft war von ihrem wilden, scharfen
Geruch erfüllt. Die Kamele lagerten im Staub, malmten, ließen sich beladen oder
entladen und sahen sie mit jenem überheblichen Blick an, der ihr bereits bei
den Kamelen in Marree aufgefallen war. Kinder mit dunklen Gesichtern und einem
Turban auf dem Kopf rannten lachend an den Missionaren vorbei. Ob sie sich über
die streng aussehenden Männer oder über sie, Emma, lustig machten oder einfach
nur ausgelassen und fröhlich waren, konnte Emma nicht sagen. Sie ging einfach
weiter hinter Paul und John her, die in schnellem Schritt den Ort durchquerten.
Ganz am Rand, hinter dem Viertel der Afghanen, konnte Emma primitive Hütten aus
Ästen und Rinden erkennen, und mittendrin Eingeborene, Frauen mit langen
Röcken, Kinder mit zerrissenen Hosen und Männer, die auf dem Boden saßen.
„Sie kriegen hier Arbeit
und Essen und medizinische Versorgung“, sagte John, als er sich zu Emma
umwandte und sah, dass sie in die Richtung des Eingeborenen-Viertels blickte.
Sie nickte. Ob Petrus, der Eingeborene von gestern, auch hier wohnte? Sie hatte
nach ihm Ausschau gehalten, ihn
aber nicht wieder gesehen. Noch immer konnte sie sich nicht erklären, was er
von ihr gewollt haben mochte. „Da drüben!“, rief Paul und beschleunigte seinen
Schritt. Emma konnte einen Kameltreiber, einen finster aussehenden Mann mit
einem weißen Turban, erkennen, der mit verschränkten Armen und breitbeinig vor
seinen Kamelen stand und der Gruppe entgegensah. Sofort befiel Emma ein
unangenehmes Gefühl. Die Vorstellung, die nächsten Wochen mit diesem Mann durch
die Wüste zu ziehen, behagte ihr nicht. Du hast Vorurteile!, schimpfte sie sich
und blieb neben Paul stehen, der dem Mann die Hand schüttelte. „Hassan Khan“,
stellte er sich mit heiserer Stimme vor und streifte Emma mit einem kurzen,
nichts sagenden Blick. Sein Gesicht sah aus wie ein Stück Leder. Jeder Muskel
trat unter seiner Haut hervor, die so ausgetrocknet war, als habe er wochenlang
nichts getrunken. Er würde alles überleben, dachte Emma, Hunger, Durst, jede Strapaze.
Hinter seinem gleichgültigen Ausdruck erkannte sie Verachtung. Nun, sie reckte
ihr Kinn, sie würde dem Mann genauso begegnen. Mit diesem Entschluss fühlte sie
sich besser.
Paul und John begrüßten
einen bärtigen Mann, der nur das Nötigste zu sprechen schien. Er hieß Ian,
tippte an seinen löchrigen und zerfransten Hut und nickte Emma zu. Dann
richtete er seinen Blick wieder auf den leeren Raum zwischen John und Paul.
Ian hatte die zwanzig
Rinder gebracht, die sie mit nach Neumünster nehmen sollten. Die Tiere würden
vor einen der beiden langen Pritschenwagen mit einem Teil ihres Gepäcks
gespannt werden. Den zweiten, größeren und schwerer beladenen Wagen sollten
sechs Kamelen ziehen. Drei weitere Kamele würden je dreihundert bis vierhundert
Kilo Last aufgeschnallt bekommen. Sechs Pferde gehörten ebenfalls zu ihrem
Treck. Sie würden abwechselnd zum Reiten benutzt werden. Auf Reitkamele hatte
man aus Kostengründen verzichten müssen. Ian würde mit einem Helfer dreihundert
Schafe nach Neumünster treiben. Wenn alles gut ging, würde er etwa zehn bis elf
Wochen benötigen. Ein Gesetz schrieb vor, dass sich durch Farmland ziehende
Viehherden mindestens fünf Meilen, also ungefähr acht Kilometer, am Tag
vorwärts bewegen mussten, damit sie das Land nicht überweideten. Sie selbst
könnten die Strecke in drei Wochen bewältigen, hieß es, und Paul hatte die
feste Absicht, es sogar in kürzerer Zeit zu schaffen.
Während Hassan
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