Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
bis sie endlich im
Lager ankam. Paul, der gerade zusammen mit Hassan einem Kamel die Vorderfüße
zusammenband, sah erstaunt auf. Atemlos stieß sie hervor, was sie gefunden
hatte, und Paul und John liefen los. Emma ließ sich erschöpft zu Boden sinken.
Hassans Hund kam auf sie zu, sah sie an und ließ sich neben ihren Füßen nieder,
als wollte er ihr beistehen, und tatsächlich fühlte sie sich ein bisschen weniger
verlassen. Hassan selbst fuhr fort, die Vorderbeine der Kamele zusammenzubinden
und blickte kein einziges Mal auf, bis John und Paul wieder zurück waren. „Was
ist ihnen zugestoßen?“, fragte sie. Paul stemmte die Arme in die Hüften und
ließ seinen Blick über das in der Dämmerung allmählich verblassende Land
schweifen, als stünden Ursache und Umstände dieser Tragödie dort irgendwo
geschrieben. „Paul?“, wiederholte sie, worauf sein Blick zu ihr zurückkehrte.
„Was ist mit ihnen passiert?“ „Vielleicht haben sie sich verirrt“, antwortete
John an Pauls Stelle. „Wer weiß, wie lange sie schon so da liegen.“ „Wir werden
sie begraben“, sagte Paul und holte zwei Schaufeln vom großen Wagen, die dort
griffbereit an der Seite befestigt waren.
Bisher hatten sie sie
unterwegs zweimal gebraucht, um eingesunkene Räder freizuschaufeln, aber noch
nie, um ein Grab auszuheben. Hassan machte keine Anstalten, mitzugehen. Er
kümmerte sich weiterhin um den Huf von Esmeralda. Sie war in einen Dorn oder
vielleicht auch einen Nagel getreten. Der Fremdkörper war zwar nicht mehr im
Fuß, aber der weiche Ballen war entzündet. Hassan machte einen besorgten
Eindruck. Die Toten schienen ihn kaum zu interessieren. Konzentriert rührte er
in einem Blechnapf eine scharf riechende Paste aus Teer an. Diesmal ging Emma
mit den beiden Männern mit. Hassans Hund folgte, machte jedoch auf halbem Weg
plötzlich kehrt und lief zum Lager zurück.
Als sie zu der
ausgebleichten Wurzel kamen und Emma wieder auf die Skelette starrte, wurde ihr
Blick von einem Blitzen am Boden abgelenkt. Paul bückte sich und hielt etwas
zwischen Daumen und Zeigefinger hoch. Es reflektierte in den letzten
Sonnenstrahlen. „Eine Patrone.“ Emma sah, dass bei einem der Toten ein Teil des
Schädels fehlte. „Also, falls er erschossen wurde, dann aus ziemlicher Nähe,
sonst wäre ihm nicht die halbe Schädeldecke weggeflogen“, sagte Paul, und Emma
erinnerte sich, dass er ja auch im Krieg gewesen war und die schrecklichsten
Verletzungen und Verstümmelungen gesehen hatte. Auch sie war an Wunden und auch
an Tod gewöhnt, aber hier in der Wüste, in der Stille und Einsamkeit, wo man
keinen anderen Menschen – auch keinen Feind – vermutete, saß der
Schock besonders tief.
„Beim Dritten kann ich nichts feststellen. Jedenfalls wurde er
nicht in den Kopf geschossen“, sagte Paul und stand auf. „Aber wer sollte so
etwas tun?“, wollte Emma wissen. „Vielleicht haben sie sich ja selbst
umgebracht, weil sie sich verirrt hatten.“ Sie dachte wieder an die Forscher in
ihrem Buch. „Wer weiß“, sagte nun John. „Wir werden es auf jeden Fall melden,
sobald wir in Stuart sind.“ Emma erschauerte. Das Rot der Erde und der vor
ihnen liegenden Hügel waren zu einem violetten Schimmer verblasst. John fing
ihren Blick auf und wandte sich rasch ab. Was hat er gegen mich? Seitdem sie an
jenem Abend am Lagerfeuer miteinander gesprochen hatten und sie sich von ihm
verstanden gefühlt hatte, sprach er nur noch das Nötigste mit ihr. „Begraben
wir sie, bevor es ganz dunkel wird“, beendete John das beklommene Schweigen und
begann, neben der Wurzel in die harte Erde zu hacken. Paul folgte seinem
Beispiel. Die Erde war trocken und steinig, sodass sie die Spaten wie Hacken
benutzen mussten. Paul sah auf. „Emma, geh zurück ins Lager. Das ist hier ja
kein schöner Anblick.“ Sie nickte benommen. Sie dachte an das Brennholz, das
sie nach dem schrecklichen Fund einfach hatte fallen lassen. Sie sollte es
wieder einsammeln, damit sie Feuer machen konnten. Auch wenn ihr die
Vorstellung, ins Camp zurückzukehren und in Hassans Nähe zu sein, nicht behagte.
John sah ihr nach, wie
sie sich entfernte, mit weit ausgreifenden Schritten, als müsse sie sich und
den anderen beweisen, dass sie noch genauso kräftig und zuversichtlich war wie
am Anfang der Reise. Doch er wusste, dass es nicht so war. Ihre Wangen waren
eingefallen, ihre Augen flackerten, ihre Haut war gerötet – nicht nur
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