Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
und betastete das Bein. Selbst durch das dichte Fell fühlte sie
die Hitze der Entzündung, und Esmeraldas Fußballen war tiefrot. „Ich helfe
Ihnen“, sagte sie. „Haben wir genug Lumpen?“ Hassan nickte und deutete auf
einen Sack neben sich. Gemeinsam bestrichen sie das Bein mit der schwarzen
Paste und verbanden es. Emma mochte sich nicht vorstellen, wie groß die
Schmerzen des Tiers beim Laufen waren. Als sie fertig waren, glaubte sie in
Hassans Blick Dankbarkeit erkannt zu haben, und sie schämte sich für ihre
Empfindlichkeit und ihre Vorurteile. Esmeralda, die sich weder Schmerz noch
Dankbarkeit anmerken ließ, drehte ihren Hals majestätisch zum Horizont, wo sich
der rot leuchtende Feuerball gerade von der Erde löste und in den Himmel emporstieg.
Nach dem dürftigen
Frühstück gingen alle bis auf Hassan, der die Kamele und Rinder einfangen
wollte, zu der verwitterten Wurzel, um für die Toten eine Andacht zu halten.
Paul hatte es tatsächlich geschafft, ein metertiefes Grab auszuheben. Er hatte
noch in der Nacht die menschlichen Überreste hineingelegt und mit Erde und
Steinen bedeckt. Aus Stöcken hatte er ein Kreuz zusammengenagelt und in die
Erde gerammt. Er sah erschöpft aus, er hatte kaum geschlafen haben. Sie
sprachen nur wenig miteinander, und
Emma fiel auf, dass Paul und John sich aus dem Weg gingen. Als schließlich die
Kamele und Rinder eingefangen, beladen oder vor die Wagen gespannt und alle
Kisten aufgeladen waren, stand die Sonne hoch am Horizont. Ein leichter Wind
blies und brachte etwas Kühlung - und die Bergkette stand als Ziel und Drohung
zugleich vor ihren Augen.
Sie kamen sehr langsam
voran. Eine Stunde nach der anderen verging, während sich die Wagenräder über
den steinigen Boden mühten, Gewinde quietschten, Rinder und Pferde schnaubten,
Peitschen knallten. Irgendwann hatte Emma den Widerstand gegen Schmerzen und
Übelkeit aufgeben müssen und war in einen Halbschlaf gefallen. Der Hut mit der
breiten Krempe war ihr tief ins Gesicht gerutscht, er schützte sie zwar vor der
direkten Sonne, doch staute sich zugleich die Hitze ihres Fiebers darunter. Am
späteren Nachmittag legten sie eine Rast ein. Emma trank eine Tasse Tee und
knabberte an einem Stück Zwieback, doch beim Geruch des Fleisches wurde ihr so
übel, dass sie hastig aufstand und sich hinter einem Busch übergeben musste.
John sah sie besorgt an, und auch Paul musterte sie mit ernstem Blick. Beide
sagten nichts, und sie war froh darüber. Sie wollte kein Aufheben um ihren
Zustand machen.
Hassan hatte nur eine Tasse
Tee getrunken und sich dann gleich wieder dem Bein von Esmeralda gewidmet.
Obwohl Emma sich elend und kraftlos fühlte, bot sie ihm ihre Hilfe an. „Wie
geht es ihr?“, fragte sie und tauchte den Spatel in die schwarze Masse. Ihr war
nicht entgangen, dass Esmeralda humpelnd hinter Kurt hergeschlichen war.
Hassan legte die Hand
auf die linke Brust des Kamels. „Entzündung geht schon bis hierher.“ Sein
dunkelbraunes Gesicht mit den scharfen Falten hatte einen ernsten, traurigen
Ausdruck angenommen. Emma brauchte nicht weiter zu fragen. Die Entzündung
breitete sich weiter aus. Dennoch strich sie weiter die Paste auf den Lumpen,
und Hassan legte ihn als Verband um das Bein. Esmeraldas Blick ging in die
Ferne, zu der Hügelkette, die sie auch an diesem Abend nicht erreichen würden.
Hassan richtete sich auf. „Du hast Fieber.“ Sein Blick hatte sie nur kurz
gestreift. „Besser nicht weitergehen.“ Verwundert und verblüfft über seine
Worte protestierte sie. „Aber wir müssen weiter!“ Er ließ seinen Blick zu den
Bergen schweifen, nahm den Kanister und ging zurück zu den Wagen. Emma sah ihm
verstört nach. Hatte sie in seinen Augen eine dunkle Vorahnung bemerkt? Die
Stunden, bis sie die Wasserstelle
erreichten, an der sie ihr Nachtlager aufschlagen wollten, verrannen quälend
langsam. Die Schmerztabletten halfen nicht. Ihr Kopf war glühend heiß, ihre
Haut trocken. Allmählich verlor Emma die Hoffnung, dass Gott ihre Gebete erhört
hatte. Hin und wieder sah sie zu Esmeralda, der Hassan kein Gepäck mehr
aufgeschnallt hatte. Esmeralda war nutzlos geworden. Die letzten Kilometer bis
zum Nachtlager waren auch für die Rinder und Pferde eine Qual. Brennende Hitze
und die endlose Ebene hatten ihre Kräfte aufgezehrt. Sie schienen nichts mehr
zu ersehnen, als endlich von den ledernen Riemen befreit zu werden, und ihren
Durst, den sie den
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