Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
Wagens die Flinte hervor. Emma und Paul sahen sich
an. „Emma, du weißt, dass ich nur unser Bestes will!“, rief er ihr zu. Doch sie
konnte nicht antworten. „Warum sagst du nichts?“ Sie war zu müde, um sich auf
einen Streit mit ihm einzulassen, und wandte sich ab. Als sie wieder zu ihm
sah, stand er bewegungslos da und starrte die leeren Kanister an. Tat er ihr
Leid? Bevor sie darüber nachdenken konnte, knallte ein Schuss und noch einer,
kurz darauf zwei weitere. Hoffentlich hat er wenigstens ein Tier erlegt, dachte Emma.
Paul war zu den Bäumen
gegangen und hatte Feuer gemacht. Schweigend hatte sie sich zu ihm gesetzt und
starrte wie er ins Feuer, in dem das glühende Holz langsam zerfiel. Hassan saß
gegenüber und reparierte mit seinen geschickten, sehnigen Händen Tragegurte.
Die ersten Sterne glitzerten am tiefblauen Himmel. John kam und warf ein
mageres Kaninchen vors Feuer. Es war das erste Kaninchen, das Emma hier in
dieser trockenen Gegend gesehen hatte. Wortlos setzte sich John auf den Boden,
legte die Flinte neben sich, nahm ein Messer aus dem Kasten mit Bechern und
Tassen, der am Feuer stand, und begann, das Fell an den Hinterläufen
einzuschneiden. Emma musste sich abwenden. Sie hatte schon oft Hühner
geschlachtet oder Hasen das Fell abgezogen, aber jetzt konnte sie den Anblick
des glänzenden rohen Fleischs nicht ertragen. John hielt inne. Rasch schüttelte
sie den Kopf und stand auf. „Nein, nein, es ist nichts. Mir ist nur nicht so
gut ...“ Damit eilte sie in die Dunkelheit und übergab sich hinter einem Busch.
Während John mit
geübten, präzisen Bewegungen dem Kaninchen das Fell abzog, den Körper zerteilte
und in einen schweren Schmortopf schichtete, legte Emma ihre Decken auf den
harten Boden und streckte sich in der Nähe des Feuers aus. Nein, sie würde ganz
sicher nichts essen. Hassan hob mit einem Spaten ein Loch neben dem Feuer aus
und schaufelte die rote Glut hinein. John stellte den Schmortopf darauf, und
Hassen bedeckte ihn mit weiteren glühenden Kohlen. Hin und wieder öffnete sie
die Augen, sah in die Glut und in die roten Gesichter der Männer, die
schweigend um das Feuer saßen und warteten, bis das Fleisch gar war. Jeder
schien mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt zu sein. Vielleicht lag darin
der Sinn der Wüste, dachte sie: zu lernen, seinen Ängsten ins Auge zu sehen.
Fröstelnd kauerte sie
sich in ihre Decken und fiel in einen unruhigen Schlaf voller wilder Träume.
Immer wieder tauchte der Kamm vor ihren Augen auf. Der Kamm, wie Sam sich damit
kämmte und dann starb, der Kamm, mit dem der gefangene Eingeborene in dem
Waggon in Marree auf sie zeigte, der Kamm, der überzogen war von lauter sich
windenden weißen, fetten Maden ... Ich bin besungen!, hörte sie sich selbst
plötzlich murmeln und wachte auf. Ja, warum war ihr das nicht schon viel früher
eingefallen? Ihr Kamm war verwendet worden wie Sams Spitzhacke, um sie zu
verhexen! Aber warum? In panischer Angst warf sie die Decken von sich, torkelte
zu ihrem Gepäck, wühlte den Kamm heraus und schleuderte ihn weit weg in die
Dunkelheit. Mit einem leisen, trockenen Geräusch traf er auf der Erde auf.
Verwirrt stolperte sie zu den hellen Felsbrocken zurück, wo die anderen schliefen. Sie fiel auf ihre Decke.
Ihr war schwindlig, und
ihr Herz schlug so hart und unregelmäßig, dass sie fürchtete, es würde
explodieren. Sie starrte in den Himmel. Der Mond leuchtete hell, es war still.
Und nicht mehr ganz so weit entfernt konnte sie die dunkle Silhouette der
Bergkette ausmachen, die sie morgen unbedingt überqueren mussten. Denn erst auf
der anderen Seite, am Fuße der Berge, sei eine Wasserstelle, hatte Hassan
gesagt. Herr Jesus Christus, betete sie leise, hilf mir, diese Reise zu
überstehen. Ich möchte so vieles in Neumünster tun! Bitte lass mich noch nicht
sterben.
7
Am Morgen war es
vollkommen windstill. Die Wolkenschlieren der ersten Tage hatten sich zu einer
weiß gleißenden Fläche verdichtet. Der Stand der Sonne war nur zu erahnen. Die
Hitze lastete auf der Ebene. Seit drei Stunden zog der Treck direkt auf die
Hügelkette zu. Sie bestand aus sechs verwitterten Bergspitzen. Zwischen der
dritten und vierten führte ein steiler Weg hindurch. Hassan hatte angeordnet,
die metallenen Nagelreifen um die Wagenräder zu montieren, was ihnen auf dem
sandigen und steilen Weg eine unerlässliche Hilfe sein würde.
Als sie die Anhöhe in
Angriff
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