Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Leuchten der schottischen Wälder

Das Leuchten der schottischen Wälder

Titel: Das Leuchten der schottischen Wälder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Canetta
Vom Netzwerk:
muss sie entfernen lassen, dachte er. Sie suchen den Schutz der dichten Büsche, aber Wacholder braucht viel Licht, die jungen Bäumchen müssen weg. Als er das Dorf in der Ferne vor sich hatte, wählte er den Weg am Hügel entlang. So konnte er ungesehen von den Bewohnern zwischen Heide, Alpakafarm und Arzthaus entlangreiten und einen Blick in den Garten werfen. Aber was er sah, gefiel im gar nicht. Da saß diese Ärztin im weißen Kittel auf der Bank hinter ihrem Haus und weinte. Genau erkennen konnte er bei der Entfernung und in der zunehmenden Dämmerung die Tränen zwar nicht, aber sie wischte sich ein paar Mal über die Augen, putzte sich die Nase und starrte dann wieder blicklos in die Dämmerung. Ganz klar, sie weinte. Hatte dieser Dandy sie geärgert? War er also doch zudringlich geworden, dieser blasierte Typ aus Inverness?
    Langsam stieg er ab, band Lady an einen Kiefernstamm und öffnete die Gartenpforte. „Kann ich helfen?“
    Da erst bemerkte Lena ihn. „Nein danke.“
    „Aber es wäre ja nicht das erste Mal“, rief er belustigt und kam näher.
    „Das erste Mal war schon schlimm genug.“
    „Höre ich da etwa Undankbarkeit?“
    „Nein, nein, nur peinliche Erinnerung.“
    „Aber so schlimm war es doch gar nicht.“
    „Ich werde gern mit meinen Problemen allein fertig“, erwiderte sie verschlossen.
    Patrick McDoneral hatte den verwilderten Garten durchquert und die Bank erreicht. Lena stand auf. Überrascht stellte er fest, dass sie fast so groß war wie er selbst. Im Wald neulich war ihm das gar nicht aufgefallen, aber da waren sie sich ja auch nicht auf Händedrucknähe nahe gekommen. Da hatten sie zwar zusammen im Auto gesessen, aber er war verärgert und musste sich auf den Weg konzentrieren und nicht auf seine Begleitung.
    Lena wischte sich noch einmal mit den Fingern über die Augen, dann reichte sie ihm die Hand. „Willkommen in meinem Garten. Sie kennen ihn ja schon.“
    Verblüfft sah er sie an. „Wie meinen Sie das?“
    „Na, im Dorf erzählt man sich, Sie hätten Haus und Garten besichtigt, als ich nicht hier war.“ Sie setzte sich wieder, ohne ihm einen Platz anzubieten.
    „Himmel noch mal, wer hat das denn gesehen?“
    „Man muss sich wohl daran gewöhnen, dass hier nichts verborgen bleibt.“
    „Da haben Sie recht. Darf ich mich setzen?“
    „Bitte“, sagte sie kühl. „Und was verschafft mir heute die Ehre?“
    „Ich war besorgt.“
    „Wie bitte?“ Verblüfft sah sie ihren späten Gast an, der in der ganzen Gegend als wortkarg und introvertiert galt.
    „Sie haben geweint.“
    „Das soll vorkommen. Aber ich habe nicht vor, meine Gefühle vor Ihnen auszubreiten.“
    „Sie haben ein Helfersyndrom in mir geweckt. Seit dem Grabenunfall fühle ich mich verantwortlich.“
    „Um Himmels willen, hören Sie mit dem Unsinn auf. Ich bin mit dem Wagen in den Graben gerutscht, das kann doch mal passieren.“
    „Und nun darf ich mich nicht verantwortlich fühlen?“
    „Nein, danke, ich kann sehr gut auf mich selbst aufpassen und möchte Ihre kostbare Zeit nicht noch einmal in Anspruch nehmen.“
    „Sehr gastfreundlich sind Sie nicht.“
    „Was erwarten Sie? Ich wollte allein sein und die Stille dieser Abendstunde genießen. Und nun kommen Sie und stellen dumme Fragen.“
    „Tränen verkörpern nicht unbedingt Genuss. Warum haben Sie geweint?“
    „Sie gehören also auch zu diesen dörflichen Herumschnüfflern. Sie sind nur noch konsequenter, Sie wollen nicht nur Äußerlichkeiten erschnüffeln, Sie wollen gleich die Seele vereinnahmen.“
    Er setzte sich kerzengerade auf, sein Gesicht war blass geworden. „Wie können Sie das glauben. Ihr Seelenleben interessiert mich nicht im Geringsten.“ Er sah ihr fest in die Augen: „Verflucht noch mal, Miss, sind Sie immer so misstrauisch? Ich dachte, ich könnte …“ Er brach jäh ab, und die Farbe kehrte mit Macht in sein Gesicht zurück. „Tut mir leid“, murmelte er und stand auf, „ich wollte Sie nicht anschreien. Es ist wohl besser, ich gehe jetzt.“
    Lena stand ebenfalls auf. „In meiner Küche steht eine Flasche Rotwein, aber ich habe noch keinen Korkenzieher gefunden, könnten Sie mir helfen, die Flasche zu öffnen?“
    Verblüfft schaute er sie an. „Natürlich, ich habe ein Jagdmesser dabei. Bedeutet das …?“
    „Versöhnung, ja. Ich war auch zu schroff, tut mir leid.“ Lena lächelte ihn an und entspannte sich, denn sie erkannte, dass dieser Mann nicht hinterhältig und neugierig war, sondern tatsächlich

Weitere Kostenlose Bücher