Das Leuchten der schottischen Wälder
Nörgler, dass er kaum Zeit hat, alle zu beschwichtigen.“
„Aber erst einmal musste er sie von der Qualität seiner Führungsrolle überzeugen.“
„Und der Pfarrer?“
„Sehen Sie sich die leeren Kirchen an. Da beklagen sich die Pfarrer über leere Gotteshäuser, sitzen zu Hause in ihren Studierstuben und wundern sich, dass sie keiner besucht. Die Herren sollten zu den Leuten in die Häuser gehen, dann werden sie sehen, wo Not am Mann ist, und dann werden auch die Kirchen wieder voll. Man darf eben nicht nur warten, sondern muss den Anfang machen mit den Kontakten.“
„Sie vergleichen mich mit der Kirche?“
„Es gibt hundert Vergleiche, in denen es darauf ankommt, auf Menschen zuzugehen.“
Lena sah ihn sprachlos an. Der Mann konnte ja reden und zwar überzeugend. Vom Zaun her hörte sie ein leises Winseln. „Haben Sie Hunde dabei?“
„Ja, die beiden brauchten noch etwas Bewegung. Jetzt wird ihnen die Zeit lang. Hätten Sie vielleicht eine Schüssel Wasser für die sie?“
„Natürlich.“
Patrick brachte das Wasser zu Basco und Jogas, die neben Lady am Zaun warteten. „So ist’s brav, ihr drei. Wird heute ein bisschen später.“ Dann kehrte er in den Garten zurück. Lena hatte den Arztkittel ausgezogen und sich eine warme Wolljacke umgelegt.
„Was Sie da von der Kirche sagten, interessiert mich, weil ich glaube, dass Sie recht haben.“
„Mich ärgern diese Zustände schon lange. Da sitzen die Herren in ihren Stuben und ihren Sakristeien, trauern um die Kirchenaustritte und die sinkenden Einnahmen und warten auf neue Mitglieder. Sie warten zum Beispiel darauf, dass Mütter kommen, um ihre Babys zur Taufe anzumelden, aber sie kommen nicht auf die Idee, die Mütter in ihren Wohnungen oder am Wochenbett zu besuchen, um ihnen zu erzählen, dass die Kirche sich freuen würde, ihr Kind in die Gemeinschaft aufzunehmen.“
„So habe ich das noch nie gesehen.“
„So ist es aber. Die Gemeinden sind so klein geworden, da ist kein Pfarrer mehr mit Arbeit überlastet. Man muss hingehen und nicht nur warten.“
„Morgen mache ich meine ersten Hausbesuche.“
„Vielleicht stoßen Sie nicht auf gesundheitliche Probleme, sondern auf soziale. Im Verborgenen gibt es in diesen Familien viel Not.“
„Ich sehe meine leere Praxis jetzt mit anderen Augen.“
„Freut mich. Und jetzt muss ich los. Ich habe noch einen weiten Weg, und im Dunkeln geht es nicht so schnell.“
„Reiten Sie durchs Dorf?“
„Nein, quer über die Hügel. Lady kennt den Weg nach Hause auch im Dunkeln. Ich muss nur langsam reiten, damit wir nicht in Kaninchenlöcher stolpern.“
„Dann wünsche ich Ihnen einen guten Heimweg, und danke, dass Sie mir geholfen haben.“
„Nichts für ungut. Tränen kann ich nicht ausstehen.“
Und da war sie wieder, die schroffe, abwehrende Haltung, die freundschaftliche Kontakte fast unmöglich machte.
Lena begleitete ihn bis zum Gartentor, streichelte die Hunde, die sich vertrauensvoll an sie schmiegten und sah zu, wie er die Stute losband und aufstieg. Ohne ein weiteres Wort ritt er davon. Lena lauschte dem leiser werdenden Hufschlag nach, den der Sandboden dämpfte, und bald schon waren Ross und Reiter in der Stille der Nacht verschwunden.
Sie ging zurück ins Haus. Die Angst vor dem Versagen war verschwunden. Langsam gewann der Optimismus wieder die Oberhand. Nach vorn schauen, sagte sie sich, das hat noch immer geholfen. Ab morgen mache ich Hausbesuche, stelle mich ganz einfach vor, lege meine Flyer mit Anschrift, Telefonnummer und Öffnungszeiten in jeden Hausflur und lade die Leute ein, zu mir zu kommen, egal ob sie Schmerzen im Körper oder in der Seele haben.
Langsam ging sie durch die Stube, strich mit den Händen über liebgewordene Möbel, die sie an die Eltern erinnerten, über Bücher, die sie seit ihrer Jugend begleiteten, nahm Fotos in die Hand und ein paar Andenken an frühere Besuche bei den geliebten Eltern.
Sie ließ sich in der Sofaecke nieder, zog die Füße unter sich und schlang die Arme um ein dickes Kissen. Das Haar fiel ihr ins Gesicht und sperrte die Nacht genau so aus wie die Einsamkeit.
Eine wohltuende Ruhe überkam sie, als sie so in der Stille saß. Sie war gar nicht allein, es gab Menschen, die sich um sie Sorgen machten. Sie lächelte und dachte an den Mann, der so plötzlich auftauchte, ihr Mut machte und dann ebenso plötzlich wieder verschwand. Ein seltsamer Mensch, schroff, abweisend und dann so tiefsinnig und verständnisvoll, überlegte
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