Das Leuchten der schottischen Wälder
sie. Suchte er selbst Wege aus der Einsamkeit, hatte ein hartes Schicksal ihn so unzugänglich werden lassen, oder war er mit Absicht so unfreundlich und abweisend, weil er es vorzog, allein zu leben? Sie erinnerte sich an seinen Umgang mit den Tieren, zu ihnen wenigstens ist er zärtlich und liebevoll. Und dann fielen ihr die Augen zu. Sie schlief auf dem alten Sofa ein, zusammengerollt wie ein Kind im Schoß der Mutter.
Lena war endlich zu Hause angekommen.
Kapitel 12
Aber aus einem langen, erholsamen Schlaf wurde nichts. Als das Telefon gegen zwei Uhr nachts schrillte, fuhr Lena aus wilden Träumen hoch. Sie hatte von kreischenden Vögeln geträumt, die in den Eulenbäumen hausten, dicht über die Erde strichen und fast ihren Kopf berührten.
Erschrocken sprang sie vom Sofa und lief zum Telefon.
„Ja, bitte?“
„Hier ist Patrick McDoneral, der Ranger, Miss Mackingtosh, ich habe eine schlechte Nachricht für Sie.“
„Was ist los?“
„Sie müssen sofort Ihre Alpakas in den Stall holen. In Island ist ein Vulkan ausgebrochen. Die Aschewolke treibt direkt auf Schottland zu.“
„Mein Gott, und was bedeutet das für uns und die Tiere?“
„Die Lava-Asche legt sich über das Land, es könnte sein, dass Ihre Tiere morgen schwarz sind.“
„Ist die Asche giftig? Was ist mit den Weiden?“
„Keine Ahnung, müssen wir abwarten. Ich bin nur gewarnt worden und rufe jetzt alle Herdenbesitzer an, die ihre Tiere draußen haben.“
„Danke, ich versuche sofort, die Alpakas zurückzuholen, vielen Dank für den Anruf.“
Lena legte den Hörer in die Station zurück, lief nach oben und zog sich um. Dann rannte sie hinüber zum Stall, um den Knecht zu wecken.
„Tom, unsere Herde muss in den Stall. Eine Aschewolke aus Island treibt auf uns zu, die Tiere müssen so schnell wie möglich zurückkommen.“
„Jetzt? Mitten in der Nacht? Man sieht doch gar nichts, und die Herde ist weit drüben jenseits der Kinnaird-Hügel.“
„Ich fahre mit dem Wagen, soweit ich komme und rufe die Hunde, die bringen die Herde dann hoffentlich herüber. Sie müssen die Gatter und die Zaunpfosten so stellen, dass die Alpakas direkt in den Stall laufen können. Und sorgen Sie für Wasser in den Wannen und genug aufgehängte Salzlecksteine, beides brauchen sie als Erstes.“
„Wird gemacht, Dr. Mackingtosh.“
Lena knipste alle Lampen im Haus und die Laternen auf dem Hof an, stieg in ihr Auto und brauste los. Weit komme ich mit dem Mini natürlich nicht, dachte sie, aber ich will wenigstens so weit fahren wie möglich. Ein Pferd müsste man haben, aber jetzt ist es sinnlos, darüber nachzudenken. Sie fuhr mit Vollgas hinunter bis ans Ende des Dorfes, wo die gepflasterte Straße aufhörte, bog dann auf einen Sandweg und später auf einen Wiesenweg ein und fuhr zum Schluss querfeldein, bis der Motor streikte und das Auto auf einer Anhöhe stehen blieb.
Lena ließ die Scheinwerfer an und stieg aus. Im Osten, jenseits vom Loch Etive, wurde der Himmel schon grau. Noch eine Stunde, und die Sonne scheint, dachte Lena, aber so lange kann ich nicht warten. Der Ranger hat gesagt, „sofort“, also muss ich mich beeilen. Er hat schließlich nicht ohne Grund angerufen. Sie lief zu Fuß weiter, rief ab und zu nach den Hunden, hörte ein paar Nachtvögel antworten und dachte mit leichtem Grauen an die Eulen in ihrem Traum, die ihr mit ihren wilden Flügen über dem Erdboden fast den Kopf abgerissen hätten. Als Schulkind hatte sie einmal eine Aufzuchtstation für Käuze und Falken besichtigt und beobachtet, wie die Nachtjäger nur wenige Meter über dem Boden dahinschießen und ihre Beute jagen. Sie versuchte so schnell wie möglich die Herde zu erreichen, aber je weiter sie kam, umso beschwerlicher wurde der Weg. Lena keuchte vor Anstrengung, denn hier handelte es sich nicht mehr um gepflegte, eingezäunte dorfnahe Weiden, sondern um wildes Bergland, in dem die Herde sich selbst ihr Futter suchte.
Ein paar Mal benutzte Lena die spezielle Hundepfeife mit den verschiedenen Signalen, aber von den Border Collies war weit und breit nichts zu hören.
Einmal rief der Ranger sie auf dem Handy an. „Wo sind Sie, ist die Herde im Stall?“
„Nein, ich fürchte, die Alpakas grasen jenseits der Eulenwälder, und bis dahin ist es noch ziemlich weit. Ich bin zu Fuß unterwegs, und in der Dunkelheit ist das Auf und Ab hier in den Hügeln nicht sehr bequem.“
„Beeilen Sie sich, ich werde laufend vom Wetterdienst gewarnt. Es wäre schade um
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