Das Leuchten der schottischen Wälder
winkte einen jungen Hausdiener heran. „Joel, bring das Gepäck ins Schloss und frag die Haushälterin nach einem Gästezimmer für meine Begleiterin.“ Dann nahm er Lenas Hand. „Komm, da drüben ist der Haupteingang, stürzen wir uns ins Verderben.“
Lena sah ihn zweifelnd an. „Wenn du dein Zuhause als ‚Verderben’ siehst, wirst du hier niemals glücklich sein.“
„Da hast du recht, ich will es ja auch nicht werden.“ Erstaunlich fröhlich zog er Lena in die große Empfangshalle, wo es von Gästen nur so wimmelte, und Lena dachte: Ist diese Fröhlichkeit nun der echte Patrick, oder ist sie eine aufgesetzte Maske, hinter der sich dieser introvertierte Mann verbirgt?
Aus der Menge der Gäste löste sich eine große, schlanke Frau in einem sehr schlichten dunkelblauen Seidenkleid und mit streng nach hinten gekämmtem und in einem Dutt zusammengefasstem grauem Haar. Sie begrüßte die beiden nicht, sondern kritisierte Patrick sofort. „Da bist du ja endlich. Und warum in dieser scheußlichen Uniform?“
„Guten Tag, Mutter. Schön, dich zu sehen. Ich hoffe, es geht dir gut“, erwiderte Patrick betont höflich. „Und was die Uniform betrifft, wir haben seit zwei Wochen Alarmstufe fünf wegen der Waldbrandgefahr im Land. Ich muss jederzeit abrufbereit sein.“
„Komm mir nicht damit. Würdest du hier leben, hättest du nicht mit Alarmstufen zu kämpfen.“ Jetzt erst würdigte sie Lena eines Blickes, dann sagte sie naserümpfend: „Nach einem festlich gekleideten Gast sehen Sie nicht gerade aus.“ Und zu Patrick gewandt: „Du hast eine fremde Dame dabei?“
„Ich habe eine gute Freundin mitgebracht. Darf ich dir Dr. Lena Mackingtosh vorstellen?“
Aber die Lady nickte nur und wandte sich ab. „Du weißt ja, wo deine Suite ist. Mrs. Crombie wird ein Zimmer für die Dame besorgen. Um acht Uhr wird gespeist.“
Lena sah den verärgerten Mann an ihrer Seite an. Kein Wunder, dachte sie, dass er sich ein anderes Zuhause gesucht hat. Eine unhöflichere Frau ist mir in meinem ganzen Leben noch nicht begegnet. Aber bevor sie etwas sagen konnte, kam ein Zimmermädchen auf sie zu und bat: „Würden Sie mir bitte folgen?“
Unschlüssig sah sie Patrick an. „Wann und wo treffen wir uns wieder? Und gibt es Vorschriften für die Garderobe?“
„Ich schlage vor, in einer Stunde hier unten, bis dahin haben wir Zeit, nach dieser langen, staubigen Fahrt zu duschen und uns frisch zu machen. Ich ziehe wieder die Uniform an. Schon aus Trotz“, fügte er hinzu.
Lena spottete: „Na, in diesen Jeans würde ich Hausverbot bekommen.“
„Ja“, grinste Patrick, „dann würde ich sofort mit dir hinausgehen, und wir wären allen Ärger los.“
Lena nickte dem verlegen blickenden Mädchen zu. „Gehen wir.“
Sie folgte der Hausangestellten über Gänge und Treppen und durch Flure, bis sie irgendwann dachte: Hier finde ich niemals zurück in die Halle. Das Mädchen begleitete sie in ein Zimmer, das erstaunlich modern eingerichtet war und den Blick auf einen englischen Garten freigab.
„Bitte sehr, Miss Mackingtosh, ich werde Ihnen jetzt nebenan ein Bad einlassen. Miss Crombie hat veranlasst, dass Ihr altrosa Ensemble für die Festivität am Abend hergerichtet wird. Es wird Ihnen in dreißig Minuten gebracht. Das soll ich Ihnen ausrichten.“
Lena war so verblüfft, dass ihr nichts anderes einfiel, als sich zu bedanken. War es in diesen Kreisen üblich, einfach das Gepäck der Gäste zu öffnen und zu durchsuchen? Das kleine Seidenkostüm, das sie sich vor einem Jahr zu einem Abschiedsevent in Glasgow gekauft hatte, hatte sie nur aus Verlegenheit mit in den Koffer gepackt, weil sie nicht wusste, mit wie oft wechselnder Garderobe sie bei diesem hochoffiziellen Geburtstag rechnen musste.
Sie ging nach nebenan ins Bad und bat das Mädchen mit einem Lächeln: „Würden Sie bitte in einer Stunde wiederkommen und mich zurück in die Halle bringen? Den Weg finde ich allein ganz bestimmt nicht.“
„Selbstverständlich. Und auf Ihrem Nachttisch ist eine Klingel, Sie brauchen nur zu läuten, wenn Sie einen Wunsch haben.“
„Danke.“
Der Abend verlief sehr seltsam. Als Lena und Patrick sich in der Halle trafen, nahm der ihre Hand und erklärte: „Wir werden uns jetzt die Tischordnung besehen; so wie ich meine Mutter kenne, entspricht sie bestimmt nicht meinen Wünschen. Aber das werden wir ändern.“ Er führte Lena durch mit Gästen gefüllte Räume, grüßte flüchtig hierhin und dorthin, ließ sich
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