Das Leuchten der schottischen Wälder
Geschwister?“
„Nein, das ist ja das Problem. Ich bin der Erbe, und der Gedanke daran reicht, um die Flucht zu ergreifen.“
Lena schwieg eine Weile. Schließlich fragte Patrick: „Was ist los?“
„Es fällt mir schwer, das alles zu begreifen.“
„Es ist auch schwer. Es ist eine Last, die mich umbringen würde, wenn ich mein Leben nicht selbst in die Hand genommen hätte. Und dann diese familiären Verpflichtungen, diese Events, die ich so hasse.“
Lena nickte verständnisvoll. „Wir werden das schon schaffen.“ Und im Stillen nahm sie sich vor, den Mann an ihrer Seite mit allen Mitteln zu unterstützen.
Je näher sie Schloss Archestown kamen, umso monströser wurde der Bau. Da die Gegend eben und kaum bewaldet war, ragte der graue Granitblock bedrohlich aus dem flachen Land oberhalb der Steilküste. Lena fand die Einsamkeit ringsherum bedrückend.
Kein Haus, kein Baum, kein Tier und auch kein Mensch waren zu sehen. Die schmale Straße führte nur durch abgegrenzte Koppeln und Weiden, die verlassen waren.
Fragend sah sie den Ranger an. „Ist es immer so … einsam hier?“
„Es kommt auf die Jahreszeit an. Es gibt riesige Schafherden, aber die weiden im Herbst hier, jetzt wird das Gras als Heufutter eingefahren.“
„Aber wohin denn? Doch nicht ins Schloss?“
Patrick lachte laut. „Nein, in die Scheunen und in die Silos natürlich.“
„Und wo sind die?“
„Das Dorf, das zu Archestown gehört, liegt von hier aus gesehen hinter dem Schloss in einer Senke. Da spielt sich auch das tägliche Leben ab.“
„Was verstehst du unter täglichem Leben?“
„Na, die Landwirtschaft eben. Wir haben ein Gestüt, Schaf- und Rinderherden, einen Hafen für den Fischfang unten in der Bucht, Getreidefelder und einen kleinen sauberen Bach für die Whiskybrennerei. Und unsere Angestellten sind alle in diesem Dorf zu Hause.“
„Das ist eine Menge Leben. Wenn man hier so entlangfährt, denkt man, ans Ende der Welt gekommen zu sein.“
„Ja, das ist die südliche Zufahrt, aber wenn wir da vorn um die Ecke kommen, siehst du auch den Park und den Graben mit der Zugbrücke, das ist die eigentliche Einfahrt.“
Die kleine Straße führte in einem Bogen um das Schloss herum, und Lena warf einen letzten Blick auf das ruhig in der Tiefe liegende Meer, über dem mittlerweile die Nacht hereingebrochen war.
Patrick lenkte den Wagen über die schmale, von weißbemalten Steinen begrenzte Anfahrt und dann über die unter den Reifen klappernde schmale Zugbrücke, die über einen breiten, mit Seerosen und Schilf bedeckten Graben führte. Sie fuhren durch einen kurzen Tunnel und landeten mitten im Leben. Jedenfalls hatte Lena den Eindruck, denn hier auf dem Schlosshof herrschte reger Betrieb. Zahlreiche Autos parkten an den Hofseiten, Bedienstete hasteten hin und her, aus offenen Fenstern drang das Gelächter zahlreicher Menschen, und irgendwo spielte eine Dudelsackgruppe.
Patrick stellte den Range Rover neben einem kleinen Brunnen ab, aus dem zwei Pointer eifrig Wasser schleckten. Als sie Patrick entdeckten, kamen sie aufgeregt wedelnd zu ihm gerannt und begrüßten ihn mit feuchten Schnauzen und freudigem Winseln. „Komm und streichle sie, dann wissen sie, dass du zu mir gehörst“, bat er Lena und half ihr aus dem Wagen.
Lena hielt ihnen die Hände hin, damit sie ihren Geruch aufnahmen und streichelte dann die beiden rot-braun gefleckten Hunde, die sich vor Freude auf den Rücken warfen und jaulten. Patrick sagte: „Sie stammen aus meiner Zucht, und vor zwei Jahren habe ich sie meinem Vater zum Geburtstag geschenkt. Aber er war nicht besonders glücklich darüber, sie waren klein und noch nicht erzogen, und er gab sie gleich weiter ins Dorf zu einem Mann, der sie ausbilden musste. Als ich im vorigen Jahr die Hunde nicht im Schloss, sondern im Dorf fand, habe ich damit gedroht, sie wieder mitzunehmen, wenn sie nicht hier oben leben durften. Na ja, nun sind sie wenigstens wieder im Schloss.“
Lena nickte und dachte: Ob sie hier in diesem Steinkoloss glücklicher sind als in einem Dorf, wo es von Tieren wimmelt?
Patrick, der Lenas Bedenken spürte, erklärte grinsend: „Sie haben natürlich jeden Auslauf, den sie wollen, die Freiheit fängt gleich nach der Zugbrücke an, und die ist immer geöffnet.“
Lena sah ihn lächelnd an. „Du bist ein verdammt guter Gedankenleser.“
„Das lernt man in und von der Natur. Du siehst, du kannst nichts vor mir verbergen.“ Er holte das Gepäck aus dem Wagen und
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