Das Leuchten der schottischen Wälder
damit sie im Schatten ausruhen können. Wenn ich dann erst vormittags losziehe, sind sie mittags noch hungrig und geben keine Ruhe.“
„Schade, ich hatte gehofft, du kommst wieder zum Mittagessen, wie damals Anfang Juni.“
„Das geht nicht. Im Frühsommer sind die Tiere frisch geschoren, und die Sonne ist nicht zu heiß, da können sie mittags weiden. Aber jetzt im Hochsommer ist das Fell nachgewachsen, und die Sonne brennt vom Himmel.“
„Hast du bestimmte Stellen, wo ihr im Wald lagert?“
„Nach dem Feuer in den Eulenwäldern sind die Plätze knapp geworden. Aber der neue Ranger hat mir Stellen zugewiesen, an denen es Wasser für die Tiere gibt. Warum fragst du?“
„Ich könnte mittags vorbeikommen und dir einen schönen frischen Salat bringen und ein kaltes Getränk. Du bist ja heute hier in der Nähe.“
„Wenn du mir ein Blatt Papier bringst, zeichne ich den Platz auf. Den Weg bis zu den Hügeln kennst du ja. Dann nimmst du den Brombeerweg, und da ist es gleich um die Ecke. Du hast doch eine eingeschränkte Fahrerlaubnis durch das Naturschutzgebiet?“
„Ja, und den neuen Ranger kenne ich auch inzwischen, der drückt dann schon mal ein Auge zu, wenn ich zu einem Einsatz muss.“ Lena holte Papier und Kugelschreiber, und während der alte Mann zeichnete, dachte sie an den vorherigen Ranger, den sie seit seinem Krankenhausaufenthalt nicht mehr gesehen hatte.
„Hast du was von Patrick McDoneral gehört?“, fragte sie vorsichtig.
„Nein, nicht mehr seit dem Waldbrand vor vier Wochen. Es heißt, er lebt bei seinen Eltern, der neue Ranger wohnt in seinem Haus.“
„Kanntest du ihn näher, ich meine Mr. McDoneral?“
„Wir waren Freunde, aber auf Distanz.“
„Was heißt das?“
„Na, wie das so bei Einsiedlern ist. Er lebte sehr zurückgezogen und ich auch. Er liebte die Einsamkeit und ich auch. Deshalb ist er auch damals hergekommen, obwohl er attraktivere Stellen in Schottland hätte haben können, und bei mir war es genauso.“
„Habt ihr als junge Männer schlechte Erfahrungen mit anderen Leuten gemacht?“
Der Schäfer zuckte mit den Schultern. „Ich nicht, und von ihm weiß ich es nicht. Aber er soll schon als Student sehr zurückhaltend gewesen sein, das weiß ich von anderen Rangern.“ Er sah Lena prüfend an. „Sag mal, du interessierst dich wohl für ihn?“
Lena schüttelte den Kopf. „Nein, das nicht, aber wir waren zusammen unterwegs, als uns das Feuer überraschte und verletzte, und einmal habe ich ihn im Krankenhaus besucht, aber da ging es ihm sehr schlecht. Später sollen ihn dann seine Eltern zu sich nach Northumberland geholt haben. Seitdem habe ich nichts mehr gehört.“
„Warum erkundigst du dich nicht?“
„Die Herrschaften mögen mich nicht. Sie haben ganz bestimmte Pläne mit ihrem Sohn, und da störe ich.“
„Wenn du ihn magst, musst du was unternehmen. Von alleine hat sich noch keine Tür geöffnet.“
„Warum und wo sollte sich denn eine Tür öffnen?“
„Ich kenne dich, Doktor, vor mir kannst du deine Gefühle nicht verstecken.“
„Schäfer, du bist ein guter Freund, aber meine Gefühle sind meine ureigene Angelegenheit.“
„Klar, Doktor, weiß ich doch. Ich rede dir auch nicht rein. Ich will nur, dass du glücklich bist, und das bist du im Augenblick ganz und gar nicht.“
Lena sah auf die Uhr. „Ich muss los, Schäfer, du kannst gern hier sitzen. Amy kommt gleich, sie räumt später alles weg. Also bleib und genieß die Ruhe und den Anblick deiner Herde, die sich so mustergültig verhält.“
„Das ist die Arbeit der Hunde.“
„Woher hast du die?“
„Vor vielen Jahren in Inverness gekauft und dann selbst gezüchtet. Es sind die besten Schäferhunde, die es gibt. Ich habe schon viele Preise mit ihnen gewonnen. Was macht Sandy?“
„Sie hat Stubenarrest, wenn deine Schafe kommen. Sie würde vor Freude die ganze Herde aufmischen.“
„Wir werden daran arbeiten. Aber heute nicht. Ich bin froh, dass die Herde ruhig ist.“
„Habe ich mir gedacht. Bye, Schäfer, bis zum Mittagessen.“
Lena stand auf, nahm ihr Geschirr mit in die Küche und schrieb Amy ein Zettelchen: „Seien Sie so nett und bereiten ein Picknick für den Schäfer und für mich vor. Wir essen mittags im Wald. Danke.“ Dann zog sie ihren Arztkittel an, nahm die Patientenliste und den Arztkoffer und fuhr zu ihrem ersten Hausbesuch.
Als sie mittags zurückkam, wartete Amy schon auf sie. „Ich wollte nicht extra anrufen, weil Sie geschrieben hatten, Sie
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