Das Leuchten der schottischen Wälder
Wunsch nach einem Kind hatte Colleen erst jetzt. ‚Meine biologische Uhr tickt’, sagte sie einmal, und danach habe ich sie zum ersten Mal in den Arm genommen.“
„Und wie wird es nun weitergehen?“
„Wie bisher. Ich kümmere mich in aller Stille um sie. Lebensmittel bekommt sie von den Bauern, weil sie kaum Geld annimmt, ich sorge für das Futter ihrer Tiere und mache abends die grobe Gartenarbeit, und im Winter, wenn ich Zeit habe, repariere ich ihr Cottage, halte den Brunnen eisfrei und hacke Holz, mit dem sie dann ein ganzes Jahr auskommt.“
„Ein bescheidenes Leben.“
„Sie will es so, und sie ist es so gewohnt.“
„Aus Irland?“
„Sie ist bei ihren Großeltern unter einfachsten Bedingungen aufgewachsen. Von ihnen hat sie auch die Kenntnisse über Naturheilkunde, und sie ist sehr belesen. Wann immer ich medizinische Zeitungen oder Bücher über Homöopathie auftreiben kann, bringe ich sie ihr mit.“
„Ich hatte mir ihr Cottage dunkel, muffig und verstaubt vorgestellt.“
„Colleen ist der sauberste Mensch, den ich kenne. Wie bist du überhaupt zu ihr gekommen? Was hat dich veranlasst, ausgerechnet heute bei ihr zu halten?“
„Ich sagte es schon: schreiende Ziegen und ein fluchender Ranger, und der sagte dann, dass drinnen eine Frau ein Kind bekommt und ihn rausgeschmissen hat. Da bin ich natürlich hineingegangen, und zum Schluss musste sogar der Wildhüter mit anpacken.“
„Meine Güte, warum denn?“
„Das Kind lag ein bisschen verdreht, und ich wollte es zurechtrücken. Da musste er Colleen festhalten.“
„Und das hat sie geduldet?“
„Sie hat geschrieen und geschimpft und zum Schluss geweint und eingesehen, dass es nicht anders geht.“
„Das mit den Ziegen hat sie klug gemacht.“
„Wieso?“
„Sie hat sie am Zaun angebunden, wo dichtes Futter steht. Und wenn sie nicht gemolken werden, meckern sie herzerweichend, und irgendjemand hört das mit Sicherheit.“
„Ich finde die ganze Geschichte trotzdem leichtsinnig und naiv. Konntest du sie nicht überreden, sich einem Arzt anzuvertrauen oder in ein Krankenhaus zu gehen? Sie hat sich ein Kind gewünscht und das Leben dieses Kindes gleichzeitig aufs Spiel gesetzt. In ihrem Alter ist eine erste Schwangerschaft immer ein Risiko.“
„Du kennst Colleen eben nicht. Da wo sie aufgewachsen ist, gab es keine Ärzte und Krankenhäuser, da mussten sich die Frauen selbst helfen.“
„Das hat sie angedeutet. Aber wäre ich nicht gekommen … sie hätten sterben können, beide.“
Nachdenklich und unsicher geworden, starrte der Mann vor sich hin. Und nach einer Weile sagte er: „Ich habe keinen Hunger mehr. Ich bringe jetzt die Schafe weg und kümmere mich dann um Colleen. Könntest du inzwischen noch mal hinfahren und nach ihr sehen?“
„Das hätte ich sowieso gemacht.“
„Im Schuppen versteckt steht eine Wiege.“
„Gut, ich hole sie raus, aber ich glaube, die Mutter schläft lieber mit ihrem Kind im Arm im Bett.“
„Eigentlich wollte sie so eine Art Hängematte im Cottage haben, so sei es früher bei ihren Großeltern gewesen, aber das habe ich ihr ausgeredet wegen der Fliegen und so. Über eine Wiege kann sie einen Schleier legen, über eine Hängematte nicht. Das hat sie eingesehen.“
„Und dann hast du eine gebaut?“
„Nicht direkt, ich habe eine gebrauchte auf dem Flohmarkt in Barcaldine gefunden und die zurechtgemacht.“
„Die Frau kann glücklich sein, so einen Freund zu haben.“
„Sie gibt es mir hundertfach zurück.“
Erstaunt sah Lena ihn an.
„Doch, Doktor, du kannst mir glauben. Sie hilft meinen Schafen und mir, wenn es uns mal nicht gut geht. Sie versteht wirklich etwas von der natürlichen Heilerei. Und sie ist eine sehr liebevolle Frau, die immer Zeit für einen hat. Auch wenn man bloß mal reden will. Und das wissen auch die Leute in den Dörfern.“
Lena war nachdenklich geworden. Vielleicht sollte ich mir auch mehr Zeit zum Reden und zum Zuhören nehmen, dachte sie, vielleicht ist Geduld wichtiger als ein Stethoskop? Sie stand auf. „Ich mache mich mal auf den Weg, Schäfer. Den Picknickkorb nehme ich mit ins Cottage, deine Colleen wird auch Hunger haben, und dann esst ihr gemeinsam.“
Sie räumte die Lebensmittel wieder ein und sah den Schäfer nachdenklich an. „Ich muss spätestens morgen das Kind anmelden und die Geburtsurkunde ausfüllen. Kann ich dich als Vater eintragen?“
Betroffen sah Marc die Ärztin an. „Dieser Papierkram. Muss das sein?“
Lena lachte.
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