Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition)
Camp war nicht größer als drei Fußballfelder. Auf der anderen Seite des Appellplatzes steckten einige Soldaten, die von der Patrouille zurückgekehrt waren, ihre Gewehre zum Entladen in die Sandkisten. Der Abend nahte, und die Berge färbten sich dunkel, die Luft fühlte sich im Gesicht schon kühl an.
Endlich tauchte Miriam auf, er winkte ihr zu, sie waren ja mit dem Kommandanten verabredet.
Miriam joggte auf ihn zu, ihre Beine schlenkerten ein bisschen, sie war erschöpft, mehr als eine Stunde lang war sie gerannt. Ein paar Meter von ihm entfernt wechselte sie von Trab in Schritt. Mit beiden Händen strich sie sich die verschwitzten Haare nach hinten, und Martens dachte, dass sie das nicht getan hätte, wenn es ihr egal gewesen wäre, ob er sie attraktiv fand oder nicht. Ihr Hals glänzte, sie sagte, das war wunderbar. Die Luft hier ist so gut. Man vergisst ganz, wo man ist.
Wo ist man denn?, fragte er, weil er nicht verstand, wie sie es gemeint hatte.
Da, wo man nicht sein möchte, sagte sie.
Handlesen
Zum Essen zog Martens sich um. Er hatte Lust auf ein weißes Hemd und eine schwarze Jeans. Nina gefiel das immer, es erinnerte sie an argentinische Tangotänzer und an Kellner. Sie fand Kellner sexy, wenn sie eine schwarze Bügelhose und ein weißes Hemd trugen. Nun zog Martens das Hemd und die schwarze Jeans für Miriam an. Er kämmte sich mit den Fingern die Haare nach hinten, einen Spiegel gab es im Zimmer nicht. Zwei Spritzer Eau de Toilette von Tom Ford. Dann ein Tüpfelchen Toleriane Fluide auf den Finger, damit rieb er sich die Augenbrauen ein, damit sie glänzten.
Als er sich aufs Bett setzte, spannte die schwarze Jeans. Sie war nicht fähig, sich seinen neuen Körpermaßen anzupassen, er würde sich bald Stretchbundhosen kaufen müssen. Martens tippte eine SMS an Nina, dass er gut angekommen sei, dass er gleich mit dem Kommandanten des Camps essen werde, kleine Belanglosigkeiten schrieb er, um ihr keine Hoffnungen zu machen, falls sie noch welche hatte. Er hatte keine mehr. Vor der Abreise hatte ihn der Verlust der Hoffnung noch beschäftigt, aber hier nicht, alles, was Nina und ihn betraf, war in die Ferne gerückt. Er war jetzt hier, in einem mit Splitterschutzwällen umzäunten Camp in der Provinz Badakhshan, über die die Kälte der Nacht hereinbrach. In den Häusern der nahen Stadt verdrahteten manche im Schein einer Glühbirne Zünder mit den Sprengsätzen, es lagen Klebestreifen auf dem Teppich, Zangen, zerknüllte Coladosen, und es wurde geprahlt, wie viele man morgen töten werde, es wurde gelacht, wenn einem Mudschahid die brennende Zigarette aus dem Mund fiel, direkt neben die Schale mit dem Sprengstoff. Da draußen zupften jetzt die Männer ihre Frauen am Arm, und die Frauen knieten sich in der dunkelsten Ecke des Hauses hin, das Feuer knisterte, die Kinder saßen mit nur halb gefüllten Bäuchen auf dem Teppich vor einem Tuch mit den leeren Speiseschalen. Im Radio wurde der Name Gottes gepriesen, und die Schrotthändler warfen, bevor sie das Licht ausknipsten, einen letzten Blick auf die mit Patronenhülsen gefüllten Säcke, die sie morgen an die Großaufkäufer von Messing- und Stahlschrott verkaufen würden. Den Kindern fielen die Augen zu, denn sie hatten den ganzen Tag Patronenhülsen aufgesammelt, überall wo geschossen worden war, und unter diese oder jene Tür wurde von außen ein Zettel geschoben mit einer Drohung. In den Bergen wurden Feuer angezündet, die nicht zu sehen waren, Funksprüche knisterten durch die Nacht. Waffen wurden vergraben, Befehle von Mund zu Mund weitergeflüstert, Nachtsichtgeräte wurden eingeschaltet von jenen, die über solche Geräte verfügten. Die Hunde erwachten aus schwachem Schlaf, wenn Schritte sich näherten.
Martens schickte die SMS an Nina ab wie eine Botschaft ins Weltall.
Nolting holte sie pünktlich um sieben Uhr ab. Miriam hatte sich ebenfalls umgezogen, sie trug einen knielangen Rock und einen engen Pullover, und sie hatte sich die Lippen geschminkt. Als sie hinter Nolting über den Appellplatz gingen, legte Martens kurz den Arm um sie und sagte, ich finde es herrlich, mit Ihnen durch ein Militärcamp zu gehen. Er hatte eigentlich etwas anderes, Besseres sagen wollen, aber er konnte, was er empfand, nicht auf den Punkt bringen. Sie sagte, ja, es ist ein schöner Abend.
Ein erster Stern leuchtete über einem Bergkamm, die Luft war rein und kühl, Bergluft, frisch wie Quellwasser. Die Beleuchtung ging an, ein kaltes Licht aus kleinen
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