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Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition)

Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition)

Titel: Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linus Reichlin
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mit Steinen und Geröll gefüllten Schüttgutkörben bestand, die vor Kugeln und Granatsplittern schützten.
    Sie passierten auf dem Weg ins Innere des Camps mehrere Schleusen, die von afghanischen Soldaten bewacht wurden, also schlimmstenfalls von niemandem, dachte Martens. Diese Soldaten waren nicht zu beneiden. Um ihre Familien zu ernähren, verkauften sie sich an die Fremden, bewachten ihre Lager und zogen sich damit den Unmut ihrer Väter zu, ihrer Brüder, und sie verdienten zu wenig, um den Unmut durch Geschenke zu beschwichtigen. Nachts klopften die Taliban an ihre Türen und sagten, du bist ein Narr, du dienst den Ungläubigen und kannst dir nicht mehr leisten als dein Nachbar, der es nicht tut, wir bezahlen dir das Doppelte, und du kannst ehrenvoll leben. Wenn man jemandem nicht trauen konnte, dann diesen afghanischen Wachsoldaten. Sie blickten so finster drein, weil sie unglücklich waren, und sie sahen in ihren Uniformen verkleidet aus. Afghanische Männer waren eitel, kein Afghane ohne Kamm in der Tasche, selbst die Ärmsten versuchten ihre Kleidung sauber zu halten und sich ohne Flicken und Löcher im Hemd zu präsentieren. Und dann steckte man sie in Uniformen, die ihnen zwei Nummern zu groß waren und in denen der schönste Mann an Würde verlor. Die Käppis saßen schief, die Hose hing runter, die Ärmel waren zu lang. Ein deutscher Oberst, dem Martens vor drei Jahren in Kunduz vorgeschlagen hatte, anstatt in Waffen in Maßschneiderei zu investieren und alle afghanischen Soldaten mit einer auf den Leib geschneiderten Uniform mit Schultertressen und Goldknöpfen auszustatten, hatte über diese Idee nur gelacht, er hatte sie für einen Scherz gehalten. In seinen Augen sahen die Soldaten selbst in der schlecht sitzenden Standarduniform besser aus als in ihrer traditionellen Kleidung, den Pluderhosen und dem langen Hemd. Martens hatte den Oberst nicht davon überzeugen können, dass die traditionelle Kleidung, der Perahan Tunban, die Eitelkeit der afghanischen Männer befriedigte, weil sie sich in weiten, leichten Stoffen attraktiv und ehrenhaft vorkamen. Wenn sie aber schon eine Uniform tragen mussten, wollten sie aussehen wie der frühere König Sahir Schah, alles andere fanden sie beleidigend. Millionen wurden für die Bewaffnung und Ausbildung der afghanischen Polizei und des Militärs ausgegeben, aber bei der Uniformierung dieser eitlen Geschöpfe wurde gespart, wie konnte man nur so ignorant sein? Hätte man endlich die Eitelkeit ins Sicherheitskonzept miteinbezogen, hätte Martens sich in der Gegenwart der afghanischen Wachsoldaten auch wirklich bewacht gefühlt.
    Auf dem Appellplatz hielt Nolting an, und sie stiegen aus. Martens wunderte sich, wie still und aufgeräumt es hier war, verglichen mit den anderen Camps der Bundeswehr, in denen man sich wie in einem provisorischen Materiallager fühlte. Hier erinnerte alles eher an eine Ferienkolonie für Soldaten, denen man den Aufenthalt in der fremden Weltgegend möglichst angenehm machen wollte.
    Schön haben Sie’s hier, sagte Martens zu Nolting und den zwei anderen Soldaten, die ihre Helme und Splitterschutzbrillen abnahmen und nicht recht wussten, ob er sie auf den Arm nahm oder es ernst meinte.
    Wir haben hier voll klimatisierte Baracken neuster Bauart, sagte Nolting schließlich, alle mit Satellitenempfang. In die Dächer sind Sandsäcke und Bleche eingebaut worden, für einen optimalen Splitterschutz. Es wurden insgesamt 120 000 Sandsäcke verbaut. Die Wände der Unterkünfte bestehen aus einem speziell gehärteten Material, so was gibt’s in den anderen Camps nicht.
    Sie haben mich überzeugt, sagte Martens, ich kaufe eine Baracke.
    Nolting zeigte ihnen ihre beiden Zimmer, sie befanden sich in derselben Baracke. Sie waren klein und eng, ein Bett, ein Tisch, ein Stuhl, ein kleines, aufklappbares Fenster. Aber es waren Einzelzimmer, ein Luxus. Nolting sagte ihnen, dass der Kommandant des Camps, Oberst Seegemann, sie um 19.00 Uhr zum Abendessen erwarte.
    Als Nolting gegangen war, sagte Miriam, war das eine Einladung oder ein Befehl?
    Es ist eine Einladung, sagte Martens, aber wir müssen natürlich hingehen. Und wir wollen das auch. Denn beim Kommandantendinner ist das Essen besser als in der Kantine und vor allem wird er eine Flasche Wein öffnen. Denn er möchte, dass wir uns wohlfühlen und ihn für einen netten Kerl halten. Er will natürlich wissen, worüber genau ich schreiben möchte, damit er sich darauf einstellen kann. Ich weiß

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