Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition)
Ferne flappten die Rotoren eines Hubschraubers. Die nassen Berge kehrten ihr Innerstes nach außen, ihre Erze schimmerten in Brauntönen, durchsetzt mit tiefer Schwärze, und auf den Kuppen ein Glanz. Vor der Baracke blieb Martens stehen, er wollte jetzt nicht hineingehen, ihm gefiel es zu gut unter dem Himmel. Die Luft war so rein, sie roch nach Nässe und Erde, und das Blau des Himmels in den Wolkenlücken war wie ein Tor. Er stellte sich vor, durch dieses Tor zu fliegen und an ein südliches Meer zu gelangen, mit beiden Händen in den warmen Sand zu greifen. Er kostete diese Vorstellung aus, dann erst ging er in die Baracke.
Miriam mit nassen Haaren vom Duschen. Ihr Gesicht hell, die Augen klar und wach. Dasselbe weiße T-Shirt wie gestern, aber eine andere Jeans, die ihr besser stand.
Martens setzte sich auf ihr Bett, sie blieb stehen.
Ich habe vorhin mit Sinan geskypt, sagte sie. Er war gestern mit Dorle baden, im Müggelsee. Heute gehen sie wieder. Er sagte, Mama, ich kann jetzt schon einen Kilometer allein schwimmen.
So lang kann ein Meter sein, wenn man schwimmen lernt, sagte Martens.
Ja, nicht wahr? Ich sollte mich darüber freuen, sagte sie. Aber eigentlich wollte ich ihm das Schwimmen beibringen. Ich hätte vielleicht schon früher damit beginnen sollen. Aber ich gehe nicht gern in Schwimmbäder. Und ich bade auch nicht gern in Seen, nur im Meer, dort sehr gern. Und jetzt bringt Dorle es ihm bei, und irgendwie stört mich das. Ich finde, sie hätte mich fragen müssen. Andererseits verstehe ich es auch. Sie hat keine Kinder. Woher sollte sie also wissen, dass mich das stört, wenn sie meinem Kind das Schwimmen beibringt. Trotzdem. Eigentlich möchte ich es ihr sagen. Verstehst du das? Wenn ein Freund deiner Tochter das Schwimmen beigebracht hätte, hätte dich das nicht auch gestört?
Martens versuchte sich zu erinnern, wo er gewesen war, als Nives schwimmen gelernt hatte. Sarajevo? Vukovar? Monrovia? Er war abgereist, als Nives nicht schwimmen konnte, und als er zurückkehrte, konnte sie es. Er war abgereist, als sie noch nicht zur Schule ging, und als er zurückkam, zeigte sie ihm ihr Schreibheft mit den Buchstaben, die sie schon gelernt hatte. An ihrem 18. Geburtstag hatte er vergeblich versucht, sie aus Tikrit anzurufen, es war keine Verbindung zustande gekommen. Die Liste seiner Abwesenheiten war lang.
Doch, das hätte mich gestört, sagte er.
Sandra hatte Nives das Schwimmen beigebracht, Sandra hatte sie am ersten Schultag begleitet, Sandra hatte die wichtigen Momente in Nives Leben mit ihr geteilt. Die Liste von Sandras Anwesenheit war doppelt so lang wie seine Abwesenheitsliste.
Ich werde Dorle eine Mail schreiben, sagte Miriam. Gleich jetzt.
Sie klappte ihr Notebook auf, tippte etwas und drehte das Notebook Martens zu.
Ich habe mit meinem Informanten gesprochen, stand auf dem Bildschirm.
Sie tippte einen nächsten Satz ein.
Es ist besser, wenn wir uns so unterhalten. Falls die Zimmer doch abgehört werden.
Das halte ich für unwahrscheinlich, sagte Martens.
Sie tippte: Es ist trotzdem sicherer. Bitte sprich nicht. Er will uns morgen Nachmittag treffen, 15.00. Auf dem Bazar für Handys in Feyzabad. Nimm bitte das Geld mit. Pack Kleidung und Zahnbürste ein, was du für zwei oder drei Tage brauchst. Er wird uns morgen zu Malalai führen.
Martens tippte: Wo findet das Treffen mit Malalai statt?
Das will er nicht sagen.
Können wir ihm vertrauen? Wir werden 10 000 Dollar dabeihaben.
Ich weiß nicht. Wir müssen ihm trauen.
Wer ist dein Informant? Liebe Miriam, bitte sag es mir jetzt.
Er ist ein Informant, schrieb sie, und du weißt doch, Informanten muss man schützen.
Ja, aber ich muss auch mich selbst schützen. Ich treffe mich nicht mit so viel Geld in der Tasche an irgendeinem geheimen Ort mit jemandem, von dem ich keine Ahnung habe, wer er ist und was genau er vorhat.
Ich weiß es doch, schrieb sie.
Nimm’s mir nicht übel, schrieb er . Aber du hast vielleicht zu wenig Erfahrung mit solchen Dingen. Miriam, bitte, wer ist er?
Er heißt Chargul. Wie kommen wir morgen nach Feyzabad?
Und wer ist Chargul? Woher kennst du ihn?
Miriam setzte sich aufs Bett, sie legte das Notebook auf ihre Knie. Sie schaute auf den Bildschirm, ohne zu schreiben. Martens bemerkte die Gänsehaut auf ihrem Arm. Es war nicht kalt im Zimmer.
Miriam tippte: Ich kenne ihn nicht. Ich habe nur telefonischen Kontakt mit ihm. Aber er weiß, wer ich bin.
Sie hielt Martens das Notebook hin, und er
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