Das Lexikon der daemlichsten Erfindungen
reagierten mit blankem Entsetzen. Ein anwesender Journalist des New York Herald kommentierte tags darauf in seiner Zeitung: »Ich befürchte, dass die Hinrichtung Kemmlers nicht nur den Anfang, sondern auch das Ende der Tötung durch Stromschlag markiert. Sie war eine Schande für unseren großartigen Staat, dem die Verantwortung übertragen wurde, einen Mann zu töten, wie noch nie zuvor ein Mann getötet wurde. Stattdessen hat sich dieser Staat auf eine unvollkommene Maschine verlassen und die Exekution damit in puren Horror verwandelt.« Reporterkollegen anderer Blätter berichteten von einem »grausigen Spektakel, viel schlimmer als Erhängen«. Und einer der Väter der Elektrifizierung der USA , George Westinghouse, kommentierte: »Die hätten besser eine Axt verwenden sollen.«
Man sollte annehmen, dass mit diesem barbarischen Schauspiel die Karriere des elektrischen Stuhls als Hinrichtungswerkzeug hätte besiegelt sein sollen. Aber weit gefehlt. Offenbar gab es unter der US -Obrigkeit genügend Befürworter eines qualvollen Tods für Verurteilte. Während der folgenden Jahrzehnte führten mehr als die Hälfte der US -Bundesstaaten den elektrischen Stuhl als Standardtechnik für Hinrichtungen ein und gaben diesem finalen Foltergerät dann auch noch beschönigende Namen, die beinahe »liebevoll« klangen: Old Smoke, Old Sparky, aber auchGruesome Gertie, wie man den Stuhl zynisch in Todeszellen nannte.
Auch in ihrer weiteren Geschichte machten die Todesstühle ihren Kosenamen alle Ehre, wie Exekutionszeugen berichteten. William Brennan, ehemaliger Richter am Obersten Gerichtshof der USA , schilderte seine persönlichen Beobachtungen einmal so: »Manchmal springen die Augäpfel der Gefangenen aus ihren Höhlen und bleiben an den Wangen hängen. Oft scheiden die Gefangenen Kot und Urin aus, erbrechen Blut und Schleim. Der Körper wird hellrot, während seine Temperatur steigt, das Fleisch des Gefangenen anschwillt und seine Haut sich spannt, bis sie reißt. Bisweilen fangen die Insassen Feuer, Zeugen hören ein lautes und anhaltendes Geräusch, das klingt, als würde Speck in einer Pfanne gebraten. Dazu durchdringt ein süßer Geruch von brennendem Fleisch die Kammer, der einen krank macht.«
Obduktionsberichte der auf diese Weise Hingerichteten bekräftigen die Beobachtungen des Richters: »Das Gehirn erscheint in den meisten Fällen wie gekocht.« Oder: »Die Blutadern haben die Konsistenz von Holzkohle.« Oder: »Ihre Körper sind anfangs so heiß, dass man sich beim Anfassen Blasen holt.« Das Schlimmste aber ist, dass die auf diese Weise Hingerichteten in den seltensten Fällen auf der Stelle tot sind. Sie erleben qualvoll ihr eigenes grausames Martyrium. Todeskandidat Fred van Wormes begann nach einem Exekutionsversuch am 1. Oktober 1903, nach dem er für tot erklärt wurde, in der Autopsie des New Yorker Gefängnisses Sing Sing wieder zu atmen! Und 1946 schrie Willie Francis während einer Exekution plötzlich lauthals: »Nehmt es weg, lasst mich atmen, ich sterbe nicht!«
Viele US -Staaten hatten inzwischen ein Einsehen und schafften die elektrische Barbarei ab. Aber einige Südstaaten-Hardliner finden offensichtlich noch heute Gefallen an dieser über hundertjährigen, grausam inhumanen Erfindung: Alabama,Florida, Kentucky (nur für Verbrechen vor dem 31. März 1998), South Carolina, Tennessee (für Verbrechen vor dem 31. Dezember 1998) und Virginia, unter gewissen Umständen auch Arkansas, Illinois und Oklahoma.
Exorzismus
Am 1. Juli 1976 starb in Klingenberg am Main die 24-jährige Pädagogik-Studentin Anneliese Michel an Unterernährung und Erschöpfung, nachdem sie zuvor nach Erlaubnis durch den Würzburger Bischof Josef Stangl zweimal von katholischen Geistlichen dem »großen Exorzismus« unterzogen wurde.
Im Juni 2005 banden orthodoxe Priester im Rahmen eines Exorzismusrituals die 23-jährige Nonne Maricica Cornici in einem Kloster im rumänischen Tanacu so fest an ein Kreuz, dass sie an den Folgen starb.
Angesichts der vermeintlich wissenschaftlich aufgeklärten Welt des 20. beziehungsweise 21. Jahrhunderts erscheinen diese Fälle wie Anachronismen. Sie sind es aber leider nicht. Exorzismus ist im katholischen Einflussbereich auch heute noch gelebter Alltag. Man darf davon ausgehen, dass derzeit täglich etwa zwei Exorzismen stattfinden, und das meist ohne vorherige Zustimmung durch den Bischof. Papst Johannes Paul II . ließ im Jahre 2003 in Rom rund 200 Priester als neue Exorzisten
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