Das Licht, das toetet
herunterzuschlucken. Natürlich wusste er, dass er damals Mist gebaut hatte. Gehörigen Mist. Doch er fand es unfair von Dozer, ihm die Geschichte bei jeder Gelegenheit vorzuhalten. Schließlich war er damals ein Frischling gewesen.
Gerade in der Basis eingetroffen, hatte er unbedingt angeben und noch in der ersten Nacht eine ihrer Sonden versenken müssen. Trotz Sturmwarnung war er mit vier seiner Kollegen nach McGinleys Geburtstagsfeier aufs Eis hinausgefahren. Die Bäuche noch voller Lasagne, die Köpfe schwer vom Weinbrand, hatten sie begonnen, ein Loch zu bohren. Der Bohrer, eine Stahlstange mit einem tonnenschweren Bohrkopf, hing an einem acht Meter hohen Kran, damit er senkrecht in den arktischen Eispanzer vordringen konnte.
Bereits nach wenigen Metern war jedoch Schluss, weil eine Böe den Bohrer samt Kran umriss. Obwohl Daniel ihn vorschriftsgemäß gesichert hatte, knickte der beindicke Bohrer ab wie ein Streichholz. Er ächzte und drehte sich im Fallen wie eine betrunkene Ballerina, bevor er wegsackte und seine fingerdicken Eisendrähte auseinanderrissen. Dann ertönte ein Schrei. Daniel sah, dass McGinley von einem Stück des Bohrers am Rücken getroffen wurde und seine Sturmmütze davonflog. Er hörte eines der eisernen Halteseile durch die Luft zischen, bevor ihn etwas an der Hüfte traf und ein dumpfer Schmerz ihn von den Beinen riss.
Schnee stob auf. Schwärze. Sie umfing Daniel im Licht der 2000-Watt-Strahler und dem grellen Weiß des Eises. Sie kam schlagartig und nahm alle Gedanken von ihm fort.
Das Nächste, was Daniel verschwommen erkannte, waren die Neonröhren der Krankenstation. Im Nachbarzimmer kämpfte McGinley um sein Leben, nur den beiden anderen Männern, Krögjonson und Pinfront, war wie durch ein Wunder nichts geschehen.
Zuerst kamen die Vorwürfe, dann die Albträume, dann das Verfahren gegen ihn. Daniel bestand darauf, dass er alles richtig gemacht und die Halteseile und Bolzen mehrfach kontrolliert und den Bohrer nach Handbuch in Betrieb genommen hatte. Obwohl es eindeutig Materialermüdung gewesen war, die den Bohrer hatte spröder werden lassen, hängte Dozer ihm ein Disziplinarverfahren an den Hals. Da er außerhalb des Dienstes den Bohrer bedient und getrunken hatte. Mehrfach bat Daniel Dozer, seinen geringen Alkoholpegel von 0,4 Promille bei der Versicherung unter den Tisch fallen zu lassen, aber Dozer ging strikt nach den Direktiven vor.
Daniel bettelte und flehte, ihm nicht seine Zukunft zu zerstören, doch „Vorschriften hatten eingehalten zu werden“. Als ob Dr. Stayyard noch nie in seinem Leben einen Fehler gemacht hätte. Mit einem einzigen Häkchen auf einem Vierzig-Seiten-Bericht ruinierte Dozer ihn. Absichtlich, wie Daniel argwöhnte, denn er hatte selbst einen Anwalt einschalten und veranlassen müssen, dass der Bohrer auf Materialermüdung geprüft wurde. Daniel, der nach jedem Besuch bei seinem Kollegen in der Reha geweint hatte, den seine Schuldgefühle wochenlang nicht schlafen ließen, würde wegen eines winzigen Häkchens sein Leben lang verschuldet sein. Obwohl die Materialprüfer Haarrisse und damit eine eindeutige Materialermüdung festgestellt hatten, war Daniel eine Teilschuld am Unfall zugesprochen worden. Wegen 0,4 Promille hatte er eine Schmerzensgeldzahlung von 150.000 Dollar zu leisten.
Daniel fixierte den bulligen Mann. Wie selbstgerecht dieser Klotz hinter seinem Schreibtisch saß. Widerlich.
Ich hätte die Männer niemals überreden dürfen, dachte er, aber nach all den Monaten damit zu kommen … Er zwang sich innerlich zur Ruhe, sogar zu einem Lächeln.
„Es dauert Tage, bis wir den Senkkanal frei geschmolzen haben, Dr. Stayyard. Der Endurance kann uns in zehn Stunden einen Kanal von DOME F zu meinem Glasauge fräsen. Wir können zwei Kilometer Eis auf dreißig Meter abkürzen.“
Dozer rieb die Zigarre zwischen seinen Fingern, sah auf die Laptops, als wäre Daniel gar nicht da, und schmauchte hörbar. Mutwillig blies er den Qualm in Daniels Richtung. Der Rauch blieb schwer über dem Schreibtisch hängen und schnürte Daniel die Luft ab.
„Und wenn DOME F doch gefroren ist? Wovon wir mal ausgehen sollten. Dann braucht mein Roboter mehr als drei Tage. Und wenn Sie Pech haben, wovon wir mal ausgehen, sitzt mein hübscher Bursche am Ende im Eis fest. Für das Bohren im Eis sind die Endurances nicht entwickelt worden, Dr. Rheinberg. Tut mir leid. Alle Roboter sind bei den Docks. Das ist wichtiger.“
„Die Docks?“
„McMurdo-Base.
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