Das Licht der Phantasie
Brause. Er mußte immer niesen, wenn er welche trank.
»Nach dieser Unterbrechung können wir wohl wieder zur Sache kommen«, sagte die trockene Stimme fest. »Es ist sehr wichtig, daß du den Zauberern keine Gelegenheit bietest, den Zauberspruch aus deinem Kopf zu holen. Schreckliche Dinge könnten geschehen, wenn man die acht Formeln zu früh beschwört.«
»Ich möchte einfach nur in Ruhe gelassen werden«, sagte Rincewind. »Gut, ausgezeichnet. Damals, als du das Oktav aufgeschlagen hast, wußten wir sofort, daß wir dir vertrauen können.«
Rincewind runzelte die Stirn. »He, eine Sekunde«, brummte er. »Ihr wollt verhindern, daß die Zauberer alle acht Zaubersprüche bekommen?«
»Stimmt.«
»Und deshalb habt ihr einen von euch in meinem Bewußtsein untergebracht?«
»Genau.«
»Ist euch eigentlich klar, daß ihr damit mein Leben ruiniert habt?« entfuhr es Rincewind empört. »Bestimmt wäre es mir möglich gewesen, als Magier Karriere zu machen, wenn ihr nicht beschlossen hättet, mich als Ablage zu benutzen. Ich kann keine anderen thaumaturgischen Formeln behalten. Euer Freund treibt sie immer wieder in die Flucht.«
»Das bedauern wir sehr.«
»Ich möchte endlich nach Hause!« Rincewind schniefte und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. »Ich möchte dorthin zurück, wo die Straßen und Wege mit Kopfsteinen gepflastert sind, wo das Bier nicht ganz so schlecht ist, wo man des Abends gebackenen Fisch essen kann, wo als Beilage Essiggurken, geräucherter Aal und Wellhornschnecken angeboten werden, wo man immer einen warmen Stall findet, um in aller Ruhe zu schlafen, wo man morgens sicher sein kann, am gleichen Ort aufzuwachen, wo es nicht so verdammt viel Wetter gibt. Ich meine: Magie ist mir völlig schnuppe. Vermutlich bringe ich für einen Zauberer nicht die nötigen Voraussetzungen mit. Ich will einfach nur nach Hause!«
»Aber du mußt…« begann einer der Zaubersprüche.
Es war bereits zu spät. Heimweh, jenes dünne Gummiband im Unterbewußtsein, das sich um einen Lachs wickelt und ihn dreitausend Meilen weit durch fremde Gewässer zieht, das eine Million Lemminge dazu veranlaßt, sich fröhlich auf den Weg zur Heimat der Ahnen zu machen, einem mythischen Land, das sich durch eine Laune der Kontinentaldrift nicht mehr an seinem ursprünglichen Platz befindet… Nun, solches Heimweh stieg nun in Rincewind empor; unerschütterliche Entschlossenheit spannte die Muskeln an, hangelte sich an dem Faden entlang, der die gequälte Seele des Magiers mit dem Körper verband, duckte sich und sprang…
Die Zaubersprüche blieben allein im Oktav zurück.
Abgesehen von dem Koffer.
Sie sahen ihn an, nicht etwa aus Augen, sondern aus Bewußtseinen, die so alt waren wie die Scheibenwelt.
»Worauf wartest du noch?« flüsterten sie verärgert. »Hau ab!«
»…übel.«
Rincewind wußte, daß dieses Wort von ihm stammte – er erkannte seine Stimme wieder. Einige Sekunden lang starrte er keineswegs normal durch seine Pupillen, sondern eher wie ein Spion, der durch winzige Löcher in den Augen eines Porträts späht. Dann kehrte er vollständig zurück.
»Ift allef in Ordnung mit dir, Rincewind?« fragte Cohen. »Du fahft ein wenig weggetreten auf.«
»Und warst auch ein wenig blaß«, pflichtete ihm Bethan bei. »Wie jemand, der einen Blick auf sein eigenes Grab geworfen hat.«
»Äh, ja, diese Beschreibung stimmt ziemlich genau«, erwiderte der Zauberer. Er hob die Hände und zählte seine Finger. Sie schienen alle noch da zu sein.
»Äh, habe ich mich bewegt?« erkundigte er sich.
»Du hast nur so ins Feuer gesehen, als triebe dort ein Geist sein Unwesen«, stellte Bethan fest.
Hinter ihnen stöhnte jemand. Zweiblum setzte sich auf und preßte beide Hände an die Schläfen.
Er musterte sie zwinkernd, und seine Lippen zitterten wortlos.
»Das war ein sehr… seltsamer Traum«, brachte er schließlich hervor. »Äh, was ist dies für ein Ort? Warum bin ich hier?«
»Nun«, sagte Cohen, »einige Leute meinen, der Föpfer des Univerfumf habe eine Handvoll Ton genommen und…«
»Nein, ich meine hier«, warf der Tourist ein. »Bist du das, Rincewind?«
»Ja«, bestätigte der Zauberer, obwohl sich Zweifel in ihm regten.
»Ich erinnere mich an eine… eine Uhr… und einige Gestalten, die…« Zweiblum schüttelte den Kopf. »Warum riecht hier alles nach Pferden?«
»Du bist krank gewesen«, sagte Rincewind. »Hattest Halluzinationen.«
»Ja… vermutlich hast du recht.«
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