Das Licht der Phantasie
betreffenden Zauberer bald die Erfahrung, daß es nicht ganz ungefährlich war, sich mit einem derart gewaltigen Geist in Verbindung zu setzen. Die Thaumaturgen übten zuerst mit wesentlich kleineren Land- und Meeresschildkröten, um ein Gefühl für die Gedankengänge solcher Tiere zu bekommen. Nun, sie wußten natürlich, daß Groß-A'Tuins Bewußtsein ziemliche Ausmaße hatte, aber sie reagierten mit sprachloser Verblüffung, als sie feststellten, wie langsam sie – oder er – dachte.
»Einige Magier sind schon seit dreißig Jahren damit beschäftigt, ihre – oder seine – Gedanken zu lesen«, sagte Rincewind. »Sie wechseln sich regelmäßig ab. Tja, bisher konnten sie nur in Erfahrung bringen, daß Groß-A'Tuin irgend etwas erwartet.«
»Was?«
»Das weiß niemand.«
Eine Zeitlang ritten sie schweigend durch eine unwegsame Gegend.
Hier und dort säumten große Sandsteinblöcke den Pfad. Schließlich sagte Zweiblum: »Ich glaube, wir sollten umkehren.«
»Morgen erreichen wir den Smarlstrom«, erwiderte Rincewind und seufzte. »Sei unbesorgt. Cohen und Bethan kommen auch allein zurecht. Immerhin ist er ein berühmter Barbar, und…«
Aber der Tourist hörte ihm gar nicht mehr zu, zwang sein Pferd herum und kehrte in die Richtung zurück, aus der sie kamen. Er hielt sich mit der natürlichen Eleganz eines prall gefüllten Kartoffelsacks im Sattel.
Rincewind senkte den Kopf. Der Koffer starrte vorwurfsvoll zu ihm hoch.
»Was siehst du mich so an?« knurrte der Zauberer. »Was kümmert’s mich, wenn er unbedingt zurückwill?«
Die Truhe gab keine Antwort.
»Falls in diesem Punkt Unklarheit bestehen sollte: Ich bin nicht für ihn verantwortlich«, stellte Rincewind fest.
Die Kiste schwieg, diesmal etwas lauter.
»Geh nur und folg ihm. Du bist mir in keinster Weise verpflichtet.« Der Koffer zog die kleinen Füße ein und blieb auf dem Weg liegen. »Nun, ich reite weiter«, sagte Rincewind. »Im Ernst«, fügte er hinzu. Er trieb das Pferd an, zügelte es nach einigen Metern und drehte sich um. Der Koffer rührte sich nicht von der Stelle.
»Es hat keinen Zweck, an mein Mitgefühl zu appellieren. Von mir aus kannst du dort den ganzen Tag über hocken. Das ist mir völlig gleich. Ich setze die Reise fort, klar?«
Verärgert musterte er die Kiste. Und sie erwiderte seinen Blick.
» I ch wußte, du würdest zurückkehren«, sagte Zweiblum.
»Ich möchte nicht darüber sprechen«, erwiderte Rincewind. »Über was dann?«
»Nun, zum Beispiel darüber, wie man diese Stricke lösen könnte«, entgegnete der Zauberer und versuchte vergeblich, die Handfesseln abzustreifen.
»Es ist mir ein Rätsel, warum du so wichtig sein sollst«, sagte Herrena. Sie saß auf einem Stein ihm gegenüber, das Schwert über die Knie gelegt. Die meisten Männer ihrer Gruppe verbargen sich zwischen den Felsen weiter oben und behielten die Straße im Auge. Natürlich war es ihnen nicht weiter schwer gefallen, Rincewind und Zweiblum gefangenzunehmen.
»Weems teilte mir mit, was eure Kiste mit Gancia angestellt hat«, fuhr die Heldin fort. »Ich kann nicht gerade behaupten, er sei ein großer Verlust gewesen, aber ich hoffe, der komischen Truhe ist eins klar: Wenn sie näher als bis auf eine Meile herankommt, schneide ich euch höchstpersönlich die Kehle durch. Habt ihr verstanden?«
Rincewind nickte hastig.
»Gut«, sagte Herrena. »Man will dich tot oder lebendig, und um ganz ehrlich zu sein: Ich würde lieber darauf verzichten, dich umzubringen. Der Transport von Leichen ist ziemlich umständlich, und außerdem stinken sie nach ein paar Tagen. Meine Männer jedoch… Nun, einige von ihnen würden sich gern mit euch unterhalten. Über die Trolle. Wenn die Sonne nicht im letzten Augenblick aufgegangen wäre…«
Sie ließ das Ende des Satzes offen und ging fort.
»Ach, jetzt sitzen wir schon wieder in der Patsche«, klagte Rincewind. Erneut versuchte er, die Fesseln abzustreifen, und wieder blieben seine Bemühungen ohne Erfolg. Hinter ihm erhob sich ein Felsen, und er dachte daran, zu versuchen die Stricke durchzuscheuern. Wie sich kurze Zeit später herausstellte, war der Granit zwar rauh genug, um ihm die Haut von den Fingern zu schaben, aber die Seile schalteten auf stur und lösten sich nicht.
»Warum ausgerechnet wir?« fragte Zweiblum. »Es hat etwas mit dem neuen Stern zu tun, nicht wahr?«
»Ich weiß überhaupt nichts darüber«, jammerte Rincewind. »Beim Astrologie-Unterricht in der Unsichtbaren
Weitere Kostenlose Bücher