Das Licht der Phantasie
Zweiblum den Kopf durch die Öffnung.
»Ist da unten jemand?«
»He!« rief der Magier. »Bin ich froh, dich wiederzusehen!«
»Woher soll ich das wissen? Bist du’s?«
»Was?«
»Lieber Himmel, von hier oben hat man eine tolle Aussicht!«
Z weiblum und seine Begleiter brauchten eine halbe Stunde, um den Boden zu erreichen. Glücklicherweise war der Alte Großvater sehr zerklüftet und wies viele Stellen auf, an denen man sich festhalten konnte. Doch die dicke Nase hätte ihnen bestimmt erhebliche Schwierigkeiten bereitet, wäre nicht die große Eiche gewesen, deren Stamm aus dem einen Loch ragte.
Der Koffer machte sich erst gar nicht die Mühe zu klettern. Er sprang einfach, klapperte über den Hang, rutschte und polterte – und schien nicht einmal einen Kratzer davonzutragen.
Cohen saß im Schatten und keuchte hingebungsvoll. Er versuchte, wieder zu Atem zu kommen, die jüngsten Ereignisse geistig zu verarbeiten und nicht den Verstand zu verlieren. Nachdenklich beobachtete er die Truhe.
»Die Pferde sind davongelaufen«, sagte Zweiblum.
»Wir finden fie fon wieder«, erwiderte der greise Barbar. Seine Blicke bohrten sich in den Koffer, der immer verlegener aussah.
»Sie sind mit den Packtaschen verschwunden, die unseren Proviant enthalten«, warf Rincewind ein.
»Im Wald gibt’f genug zu essen.«
»Ich habe einige Kekse im Koffer«, verkündete Zweiblum. »Nahrhaften Zwieback, um ganz genau zu sein. Meine eiserne Ration.«
»Die Dinger kenne ich bereits«, sagte Rincewind. »Sind knochenhart und außerdem…«
Cohen stand auf, verzog das Gesicht und verfluchte seine Bandscheibe.
»Entfuldigt bitte«, brummte er. »Ich muff da unbedingt über etwaf Klarheit gewinnen.«
Er trat an die Kiste heran und griff nach dem Deckel. Die Truhe wich hastig zurück, aber Cohen streckte das Bein, und mindestens zwanzig oder dreißig kleine Füße strauchelten. Als sich der Koffer drehte, um nach ihm zu schnappen, biß der Barbar die Zähne zusammen, zog kräftig und warf ihn auf den gewölbten Deckel. Die Kiste blieb liegen und zappelte wie eine hilflose Schildkröte.
»He, das ist mein Koffer!« protestierte Zweiblum. »Warum greift er meinen Koffer an?«
»Weil er sich vor ihm fürchtet«, sagte Bethan. »Glaube ich wenigstens.«
Zweiblum wandte sich verblüfft an Rincewind. Der Zauberer zuckte mit den Schultern.
»Keine Ahnung«, beantwortete er die unausgesprochene Frage des Touristen. »Ich ziehe es vor wegzulaufen, wenn ich Angst habe.«
Die Truhe öffnete den Deckel und stemmte sich zur Seite. Als sie wieder auf dem Boden stand, setzten sich Dutzende von Beinpaaren in Bewegung und katapultierten sie auf Cohen zu. Der Messingbeschlag einer Ecke traf das Schienbein des Barbaren, doch als die Kiste herumwirbelte, griff der Greis entschlossen zu, nutzte ihr Bewegungsmoment aus und schleuderte sie an einen Felsen.
»Nicht übel«, sagte Rincewind anerkennend.
Der Koffer wankte zurück, zögerte kurz, näherte sich dann erneut seinem Gegner und hob drohend die Klappe. Cohen sprang und landete mit Händen und Füßen im Spalt zwischen dem Deckel und der oberen Truhenkante. Das schien die Kiste erheblich zu verwirren. Und sie war noch überraschter, als Cohen tief Luft holte und zu zerren begann. An seinen dünnen Armen bildeten sich dicke Muskeln, wie Kokosnüsse, die unter der faltigen und fleckigen Haut erstaunlich schnell heranwuchsen. Eine Zeitlang setzten sie ihren stummen Kampf fort: Sehnen kontra Scharniere. Dann und wann quietschten die Angeln oder knackte ein Knochen.
Bethan stieß Zweiblum den Ellenbogen in die Rippen.
»Greif endlich ein!« verlangte sie.
»Äh, ja«, erwiderte der Tourist. »Ich glaube, das reicht jetzt. Laß ihn in Ruhe, Koffer.«
Als die Truhe diese Worte ihres Herrn und Meisters vernahm, knarrte sie enttäuscht. Der Deckel klappte so abrupt auf, daß Cohen zurücktaumelte, stolperte und fiel. Mit einem Satz war er wieder auf den Beinen und stürzte der Kiste entgegen. Sie hatte sich nicht wieder geschlossen.
Der greise Barbar beugte sich vor und griff hinein.
Der Koffer quietschte ein wenig, fürchtete aber offenbar die Gefahr, von seinem Eigentümer zur Großen Garderobe im Himmel verbannt zu werden. Daher zügelte er seinen Appetit. Als es Rincewind wagte, wieder die Augen zu öffnen, beobachtete er Cohen, der verblüfft in die Truhe starrte und leise fluchte.
»Wäffe?« entfuhr es ihm. »Daf ift allef? Nur Wäffe?« Er zitterte vor Wut.
»Irgendwo müßten auch
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