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Das Licht des Nordens

Das Licht des Nordens

Titel: Das Licht des Nordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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mir die Tränen kamen, und wollte nicht. daß er es sah.
    Â»Gott hat ihr ihr Leben genommen und sie dir deins.«
    Â»Halt den Mund, Weaver! Du weißt gar nichts davon!« rief ich, und Tränen liefen übers Gesicht.
    Â»Du hast wirklich eine große Klappe, Weaver Smith«, sagte Minne tadelnd. »Sieh dir an, was du getan hast. Du solltest dich entschuldigen.«
    Â»Ich entschuldige mich nicht, weil es stimmt.«
    Â»Vieles stimmt. Das heißt aber noch lange nicht, daß du mit allem herausplatzen kannst«, sagte Minnie.
    Darauf herrschte eine Weile Schweigen zwischen uns, das von nichts unterbrochen wurde, als dem leisen Geraschel der Farnsprossen, die in unsere Eimer fielen.
    Vor ein paar Monaten tat Weaver etwas – etwas, das er seiner Ansicht nach
für
mich getan hatte, meiner Meinung nach jedoch hatte er es mir
angetan.
Er nahm mein Aufsatzheft – das ich über die Bahngleise in den Wald geworfen hatte – und gab es Miss Wilcox.
    In dieses Aufsatzheft schrieb ich meine Geschichten und Gedichte. Die hatte ich nur drei Leuten gezeigt. meiner Mama, Minnie und Weaver. Mama sagte, sie brächten sie zum Weinen, und Minnie sagte, sie seien unglaublich gut. Weaver sagte, sie seien besser als gut. und riet mir, sie Miss Parrish zu zeigen, der Vorgängerin von Miss Wilcox. Er sagte, sie würde wissen. was man mit ihnen machen solle. Vielleicht bei einem Magazin einreichen.
    Das wollte ich nicht, aber er ließ nicht locker, also gab ich schließlich nach. Ich weiß nicht, worauf ich hoffte. Auf ein wenig Lob, nehme ich an. Ein bißchen Ermutigung. Die habe ich nicht bekommen. Miss Parrish nahm mich eines Tages nach Schulschluß beiseite und sagte, sie habe meine Geschichten gelesen und finde sie morbid und entmutigend. Sie sagte, Literatur habe die Aufgabe, die Herzen zu erheben, und ein junges Mädchen wie ich sollte ihr Interesse fröhlicheren und anregenderen Themen zuwenden als einsamen Eremiten und toten Kindern.
    Â»Sieh dich um, Mathilda«, sagte sie. »Sieh dir die Bäume, die Seen und die Berge an. Die ganze Pracht der Natur. Sie sollte Freude und Ehrfurcht einflößen. Verehrung. Respekt. Schöne Gedanken und geschliffene Worte.«
    Ich hatte mich umgesehen. Ich hatte all die Dinge gesehen, die sie anführte, und noch mehr. Ich hatte ein Bärenjunges gesehen, das sein Gesicht in den strömenden Frühlingsregen hob, und den silbernen Wintermond, der hoch oben erstrahlte. Ich hatte die rote Pracht der Ahornbäume im Herbst gesehen und die unaussprechliche Stille eines Bergsees bei Sonnenaufgang. Das alles hatte ich gesehen und geliebt. Aber mir war auch die andere Seite der Medaille nicht entgangen. Die Kadaver der Rehe, die im Winter verhungert waren. Der tobende Zorn eines Blizzards. Und die Finsternis, die unter den Fichten nistet, selbst am schönsten Tag.
    Â»Ich möchte dich ja nicht entmutigen, meine Liebe«, fügte sie hinzu. »Warum versuchst du es nicht mit einem anderen Thema? Mit etwas, das ein bißchen weniger schwer verdaulich ist. Wie wär’s mit dem Frühling? Es gibt so viel, was du über den Frühling schreiben könntest. Über die frischen grünen Blätter oder die hübschen Veilchen. Oder die Rückkehr der Rotkehlchen.«
    Ich gab ihr keine Antwort. Ich nahm einfach mein Aufsatzheft und machte mich mit Tränen in den Augen davon. Weaver wartete vor dem Schulhaus auf mich und fragte, was Miss Parrish gesagt habe. Aber ich wollte es ihm nicht erzählen. Ich wartete, bis wir eine Meile außerhalb der Stadt waren, dann warf ich mein Heft in den Wald. Er lief sofort los, um es wieder zu holen. Ich sagte, es gehe ihn nichts an, ich wolle es nicht mehr. Aber er entgegnete, nachdem ich es fortgeworfen hätte, gehöre es mir nicht mehr. Es gehöre jetzt ihm, und er könne damit machen, wozu er Lust habe.
    Hinterhältig wie er ist, behielt er es und wartete ab. Dann wurde Miss Parrishs Mutter krank, und sie ging nach Boonville, um sie zu pflegen, und die Schulvorsteher engagierten Miss Wilcox, die das alte FosterHaus in Inlet mietete, um sie zu vertreten. Und ohne mir etwas davon zu sagen, gab Weaver Miss Wilcox mein Aufsatzheft. Sie las meine Geschichten und sagte. ich sei begabt.
    Â»Du hast eine echte Begabung, Mattie«, sagte sie. »Eine seltene.«
    Und seitdem – wegen Weaver und Miss Wilcox – wünsche ich mir Dinge, die ich mir eigentlich

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