Das Licht ferner Tage
Handlung nicht verkraftet. Also hat er sie verdrängt, die Sache quasi abgehakt und ist wieder in die Normalität zurückgekehrt. Unsre Zyniker wiederum meinten, er hätte gelogen und genau gewusst, was er tat. Als er schließlich erkannte, dass das Verbrechen nicht ungesühnt bleiben würde, hätte er psychische Probleme simuliert, um ein milderes Urteil rauszuschinden. Und die Neurologen sagten, er hätte wahrscheinlich an einer Form der Epilepsie gelitten.«
»Und nun kennen wir die Wahrheit?« fragte Bobby.
»Ja.« Mavens tippte auf die SoftScreen und ließ die Sequenz weiterlaufen.
In einer Ecke des Raums sah man das Gitter der Klimaanlage. Plötzlich wurde es herausgedrückt. Der Junge sprang mit ängstlichem Blick aus dem Bett und zog sich in eine Ecke zurück.
»Er ruft in diesem Moment nicht um Hilfe«, sagte Mavens leise. »Wenn er es getan hätte…«
Nun kroch eine Gestalt aus dem offenen Schacht. Es handelte sich um ein Mädchen, das mit einem hautengen Skianzug bekleidet war. Sie sah aus wie sechzehn, hätte aber auch älter sein können. Sie war mit einem Messer bewaffnet.
Mavens schaltete wieder auf Standbild.
Bobby runzelte die Stirn. »Wer zum Teufel ist das?«
»Die Adoptivtochter der Wilsons. Sie heißt Barbara – Sie erinnern sich vielleicht, dass ich sie erwähnt hatte. Hier ist sie achtzehn Jahre alt und lebt schon seit ein paar Jahren nicht mehr bei ihren Eltern.«
»Aber sie hatte noch immer den Sicherheitscode fürs Gebäude.«
»Richtig. Sie hat sich verkleidet eingeschlichen. Dann ist sie in die Luftschächte gekrochen. Die sind ziemlich groß in einem so alten Gebäude. Und auf diesem Weg ist sie in die Wohnung gelangt.
Mit der WurmCam haben wir sie ein paar Jahre zurück in die Vergangenheit verfolgt. Es stellte sich heraus, dass das Verhältnis zu ihrem Vater etwas komplexer war, als man gemeinhin angenommen hatte.
Sie kamen gut miteinander aus, als sie noch zusammengelebt hatten. Dann ist sie von zu Hause ausgezogen und aufs College gegangen. In dieser Zeit machte sie ein paar schlechte Erfahrungen. Sie wollte wieder zu Hause einziehen. Die Eltern erörterten das Problem und rieten ihr davon ab, nach Hause zurückzukommen, weil sie sonst nie selbstständig werden würde. Vielleicht war ihre Entscheidung richtig, vielleicht auch nicht. Auf jeden Fall hatten sie es gut gemeint.
Eines Abends, als die Mutter außer Haus war, ist sie zurückgekommen. Sie ist zu ihrem schlafenden Vater ins Bett gekrochen und hat Oralsex bei ihm gemacht. Hat ihn verführt. Aber er hat es geduldet. Hinterher fühlte er sich schuldig. Der Junge, Mian, schlief im Raum nebenan.«
»Sie hatten eine Auseinandersetzung…?«
»Nein. Wilson ärgerte sich über sich selbst und schämte sich, versuchte aber einen kühlen Kopf zu bewahren. Er sagte, das sei ein Ausrutscher gewesen und schickte sie wieder aufs College. Vielleicht glaubte er wirklich, dass die Zeit alle Wunden heilen würde. Was nicht stimmte.
Er hatte keine Erklärung für Barbaras Eifersucht. Sie redete sich ein, dass Mian sie um die Zuneigung der Eltern gebracht hätte und dass sie sie deshalb nicht mehr bei sich haben wollten.«
»Richtig. Also will sie den Vater verführen, um wieder seine Gunst zu erringen…«
»Nicht ganz.« Mavens aktivierte die SoftScreen, und der nächste Akt des Dramas wurde eingeläutet.
Mian erkannte seine Adoptivschwester. Er überwand den Schock und ging auf sie zu.
Barbara stürzte sich wie eine Furie auf ihn. Sie rammte ihm den Ellbogen in die Kehle, so dass er sich an den Hals fasste und nach Luft schnappte.
»Raffiniert«, sagte Mavens sachlich. »Nun kann er nicht mehr um Hilfe rufen.«
Barbara warf den Jungen auf den Rücken und setzte sich rittlings auf ihn. Sie umklammerte seine Hände, drückte sie ihm über den Kopf und zerschnitt seine Kleidung.
»So kräftig wirkt sie gar nicht«, sagte Bobby.
»Auf die Kraft kommt es hier auch nicht an. Sondern auf die Entschlossenheit. Mian glaubte noch nicht einmal in diesem Moment, dass das Mädchen, das er als seine Schwester betrachtete, ihm wirklich etwas antun würde. Was meinen Sie?«
Nun war der Oberkörper des Jungen frei. Barbara stieß das Messer nach unten…
»Genug«, sagte Bobby.
Mavens drückte eine Taste, und mit Erleichterung nahm Bobby zur Kenntnis, dass die SoftScreen dunkel wurde.
»Der Rest sind Details«, sagte Mavens. »Als Mian tot war, lehnte sie ihn gegen die Tür und rief ihren Vater. Wilson kam herbeigerannt. Als er
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