Das Licht in Buddhas Spiegel - Neal Carey 2
Valley erreichte. Ein Chamäleon, ein Schatten: der unbeobachtete Beobachter.
Er stand da wie ein Harter im Harem.
Niemand in Mill Valley trug einen Schlips, und wenn überhaupt jemand ein Jackett trug, dann eines mit Lederfransen. Die meisten trugen einfache Baumwollhemden und Jeans-Overalls oder Jeans-Hemden und Maler-Hosen oder sogar Roben. Viele Sandalen, Jogging-Schuhe, Biker-Boots.
Neal hingegen sah aus wie ein Ronald-Reagan-Fan auf einem Kommunisten-Treff.
Als er aus dem Bus stieg, gafften ihn die Leute, die vor dem Terminal Bookstore standen, doch tatsächlich an. Er hätte ihnen nicht verdächtiger erscheinen können, wenn er ein Reklameschild getragen hätte mit der Aufschrift: STRAMMER , UNCOOLER NICHTJOGGENDER FLEISCHFRESSENDER OSTKÜSTEN-GROSSSTADT -NEO - FASCHIST , DER NIEMALS MEDITIERT .
Die Schachspieler an den Holztischen im Freien starrten Neals Schlips an. Ein paar ältere, weisere schüttelten traurig den Kopf; vielleicht erinnerten sie sich noch daran, wie sie selbst als verirrte junge Männer ausgesehen hatten. Eine liebreizende junge Frau, die auf einer Holzflöte spielte, hörte damit auf und preßte ihr Instrument fest an den Busen. Vielleicht hatte sie Angst, daß Neal es ihr entreißen und ein paar Kätzchen damit totprügeln würde.
Neal wünschte bloß, er wäre nackt – selbst das wäre ihm weniger unangenehm gewesen.
Mill Valley war schön. Es kuschelte sich an den Fuß des Berges und war überschattet von Pinien, Zedern und Rotholz. Die Häuser waren aus diesen einheimischen Hölzern gebaut; Cafes, Restaurants und Galerien rahmten den Marktplatz ein, der eigentlich ein Dreieck war und an dessen Scheitelpunkt der Terminal Bookstore lag.
Der gurgelnde Bach an der Westseite des Städtchens hatte die Wirkung einer natürlichen Klimaanlage; die Luft war kühl und frisch, und die Leute saßen in der Sonne und redeten über die Welt. Die Welt von Mill Valley schien schön zu sein, als hätten sie hier den Sinn der Sechziger kapiert, das Beste davon eingefroren und nun zu richtigem Leben erweckt. Die Welt schien schön zu sein, wenn man nicht gerade ein Button-down-Hemd, einen blauen Blazer und schwarze, glänzende Slipper trug.
Neal suchte Zuflucht in einem Café auf der anderen Straßenseite. Wände, Boden und Tresen waren aus poliertem Pinienholz, und Holzstühle standen vor dem Tresen. Eine Blondine lächelte ihn an, attraktive Lachund Sonnenfältchen umrahmten ihre braunen Augen. Sie trug ein feuerwehrrotes Chamois-Shirt zu einer verwaschenen Jeans.
»Was möchtest du?« fragte sie.
»Einen schwarzen Kaffee zum Mitnehmen.«
Sie sah ihn mitfühlend an.
»Was für einen?« fragte sie.
»Schwarz.«
Sie deutete auf eine Tafel hinter ihrem Rücken, auf der ein Dutzend Kaffeesorten aufgeführt waren.
»Uuuuhhh«, machte Neal. »Mozambique-Mokka.«
»Entkof?«
Plötzlich war ihm zum Lachen zumute.
»Mit Koffein«, sagte er. »Doppelt koffeiniert, wenn’s geht.«
Einen Augenblick später gab sie ihm einen Styroporbecher.
»Du solltest lieber entkof trinken«, sagte sie und betrachtete seine Klamotten. »Wirklich. Du siehst angespannt aus.«
»Ich bin angespannt.«
»Siehst du?«
»Ich find’ es spannend, angespannt zu sein.«
»Es ist eine Sucht.«
»Allerdings.«
»Versuch’s mal mit Kräutern«, sagte sie sehr ernst. Sie war überzeugt, daß er bald sterben würde.
»Kräuterkaffee?« fragte er.
»Ist sehr gut.«
»Und sehr gut für mich?«
»Du solltest meditieren«, sagte sie und goß ihm sein Gift ein.
Er nahm seinen schwarzen, koffeinierten Mozambique-Mokka mit und setzte sich draußen auf eine Bank. Er nippte an seinem Kaffee und überlegte, was er als nächstes tun sollte. Er war seit über fünf Minuten in Mill Valley, und weder Pendleton noch Lila waren aufgetaucht. War ihnen nicht klar, daß ihm die Zeit davonlief? Na ja, dachte er, kommst du nach Mill Valley… Er lockerte seinen Schlips, knöpfte seinen Kragen auf, stellte den Kaffeebecher neben sich, lehnte sich zurück und ließ sich die Nachmittagssonne ins Gesicht scheinen. Vielleicht sollte ich meditieren, dachte er. Wenn ich mich genug anstrenge, erscheint vielleicht Pendleton. Oder, noch besser, Lila. Sie hieß nicht Lila, sie hieß Li Lan. Sie war keine Prostituierte, sie war Künstlerin. Und sie sah nicht so gut aus wie auf dem Schnappschuß. Sie sah noch viel besser aus.
Neal starrte die beiden Fotos von ihr auf einem Poster im Terminal Bookstore an. Das Poster warb für eine
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