Das Licht in Buddhas Spiegel - Neal Carey 2
Gefahr ist. Die Situation ist, daß ich sie finden muß und ein paar Antworten von ihr brauche, bevor ich wieder mein eigenes Leben leben kann.
»Die Situation ist«, sagte Neal, ohne sich vom Fenster abzuwenden, »daß ich mit der Frau aus Eins-Zwei-Sieben Kansu Street reden muß. Das ist die Situation.«
»Mark hat gesagt, ich soll für Sie sorgen.«
»Und das haben Sie.«
»Er sagte, daß Sie gesucht werden.«
»Stimmt.«
»Also brauchen Sie Schutz.«
Neal wandte sich vom Fenster ab. Wenn ich ihn abschüttle, dachte er, wird er sein Gesicht vor seinem Cousin und seinen eigenen Leuten verlieren. Außerdem ist das hier seine Gegend, und ich könnte ihn nicht mal abschütteln, wenn ich es versuchte. Alles, was mir bleibt, wäre, es uns beiden schwieriger zu machen.
»Ich muß allein mit ihr sprechen«, sagte Neal.
»Kein Problem.«
»Dann los.« Eins mußte man Ben Chin lassen, dachte Neal. Er ist organisiert. Sobald sie die Straße betraten, folgten ihnen drei Teenager. Sie waren dünn und sahen hungrig aus, und sie trugen alle drei weiße Hemden zu glänzenden schwarzen Hosen und Slippern. Sie ließen ihre Zigaretten fallen, sobald sie Chin sahen, und bildeten wortlos eine Fächerformation, ungefähr fünfzehn Meter hinter Chin und Neal. Ein Junge mit Hasenzähnen, kleiner und dünner als die anderen, ging vor ihnen her, er sah sich selten um, schien aber trotzdem zu wissen, wohin sie gingen.
»Nach wem suchen wir?« fragte ihn Chin. »Weiß?«
»Wahrscheinlich.«
Chin zog eine Grimasse, dann sagte er: »Okay, kein Problem.«
»Sie haben einen Scout vor uns.«
»Gut gesehen. Aber er ist kein Scout, er ist ein Türöffner. Wenn wir rennen müssen, öffnet er eine ›Tür‹ in der Menge für uns und schließt sie, wenn wir durch sind.«
Neal wußte, was das hieß. Ein Türöffner auf der Straße ist wie ein Blocker beim Football. Wenn er die Spieler auf sich zurennen sieht, stößt er einen oder zwei Zivilisten zur Seite, um Platz zu schaffen. Wenn seine eigenen Männer es geschafft haben, wirft er sich den Verfolgern in den Weg. So funktioniert das normalerweise, aber wenn der Türöffner bemerkt, daß statt irgendwelcher Passanten auch Gegner vor einem stehen, benutzt er ein Messer oder eine Pistole oder seine Hände, um die Tür zu öffnen. Wenn das passiert, ist der Türöffner normalerweise hinüber, außer die anderen können schnell eingreifen. Ein Türöffner ist entbehrlich.
Ben Chin wußte also, was er tat. Einen Türöffner zu haben, ist die einzige Methode, einem Netz zu entkommen. Was für Neal, der nicht auf eine Falle vorbereitet war, gut und schlecht zugleich aussah: Gut, daß Chin auf Schwierigkeiten vorbereitet war, schlecht, daß er damit zu rechnen schien. Chin selbst wirkte entspannt. Er schaute in die Schaufenster und begutachtete Frauen. Für den oberflächlichen Betrachter sah er aus wie ein Kowloon-Angeber auf der Suche nach Spaß. Aber Neal sah die Wachsamkeit in seinen Augen und bemerkte, daß jeder Blick auf ein tragbares Radio oder eine interessante Frau auch die Suche nach möglichem Ärger einschloß. Chin hielt nach etwas Ausschau, und Neal hatte das Gefühl, daß es keine Weißen waren. Die Massen an Kweilo-Touristen, die sich an ihnen vorbeischoben, würdigte er keines Blickes.
Neal spürte seine Paranoia zurückkehren, wie ein verschwitztes Hemd. Vielleicht lag es auch daran, daß er die ganze Nacht geflogen war und danach nicht geduscht, sich rasiert oder gegessen hatte. Das war vielleicht ein Fehler, aber dann erinnerte er sich, daß er das letzte Mal, als er sich solchem menschlichen Komfort hingegeben hatte, Pendleton und Li Lan nach Mill Valey hatte entkommen lassen. Diese Chance würde er ihnen nicht noch einmal geben.
Chin starrte nach links oben, und Neal bereitete sich auf Action vor. Er folgte Chins Blick und sah die Leuchtschrift eines Kinos. Chin starrte das Poster des neuesten Films an. Ihre drei Hintermänner hielten an, einer von ihnen wandte sich um und sicherte nach hinten. Der Türöffner nutzte die Pause, um auf die Westseite der Nathan Road zu wechseln, dann wartete er an der Ecke und behielt seinen Boß im Auge.
Chin bemerkte nichts davon, aber das mußte er auch nicht. Er hatte ein gut trainiertes Team und wußte das, und das gab ihm die kleine Freiheit, ein Filmplakat zu betrachten.
Eine Leuchtschrift sagte, daß das Kino Astor hieße, aber das war alles auf englisch, der Rest waren chinesische Zeichen. Die Poster zeigten ein bunt
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