Das Licht in Buddhas Spiegel - Neal Carey 2
seine alte Heimat zu besuchen.
Er konnte sie aus den Fenstern glotzen sehen, aus den Gassen, und besonders dumm glotzte der Junge, der mit dem Gesicht nach unten im Dreck lag, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, einen Maschinengewehrlauf im Nacken.
»Hebt ihn hoch«, befahl Chang.
Der Officer zerrte den Jungen auf die Beine. Chang zündete noch eine Zigarette an und steckte sie dem Jungen in den Mund.
»Du bist nicht auf deinem Gebiet«, sagte Honcho.
»Big-Ear Fu schickt mich, also halt den Mund.«
Die Tür gab nach. Zwei Cops sprangen hinein. Das kleine einarmige Rundauge war direkt hinter ihnen.
»Er ist nicht da«, sagte Honcho zu Eddie.
»Wo ist er?« fragte Graham den alten Mann, der in einer Ecke kauerte. »Wo ist er?!«
Graham sah sich entgeistert um. Es war unglaublich schmutzig und stank zum Himmel. Er sah die Nische, sah die Handschellen.
Es war kein guter Moment, in dem Eddie Chang Honcho hereinbrachte, denn Joe Graham rastete gerade aus. Er packte die Handschellen und schwang sie in einem weiten Bogen, der abrupt an Honchos Nacken endete.
»Wo ist er?!«
»Er ist weg.«
»Wohin?!« Die Handschellen trafen Honchos Gesicht.
Eddie Chang trat dazwischen und schob Graham weg.
»Er sagt, Ihr Freund sei süchtig. Opium.«
»Das ist unmöglich.«
»Hier ist nichts unmöglich.«
Graham trat einen Schritt zurück. Neal rauchte Opium? Neal ein Junkie, wie seine Mutter?
»Wo ist er?« wiederholte Graham.
»Sie haben ihn irgendeinem Chinesen verkauft«, sagte Chang.
»Wann?« fragte Graham.
Honcho grinste. »Sie haben ihn gerade verpaßt.« Graham packte Chang am Ellenbogen. »Dann los. Wir können ihn kriegen.«
»Keine Chance«, sagte Chang. »Er kann mittlerweile überall sein.«
»Man kennt doch Junkies«, sagte Honcho. »Vielleicht ist er weggeflogen.«
Chang warf Honcho zu Boden, dann zog er seine Pistole aus dem Holster und zielte auf Honchos Kopf.
»Ja?« fragte Chang und sah Graham an.
Graham dachte daran, daß Neal Carey hier gefangen gewesen war, daß man ihm Drogen gegeben hatte, daß man ihn an irgendeinen Asiaten verkauft hatte. Er sah Honcho an.
»Nein«, sagte Graham. Er hatte genug Blut auf dem Gewissen und hatte anderes zu tun. Zum Beispiel, überall nach Neal Carey zu suchen.
Teil III
Buddhas Spiegel
13
Neal wachte auf, weil die Teetasse auf dem Tablett leise klirrte. Der Zimmerkellner machte dieses Geräusch absichtlich, als er das Frühstück auf den Tisch neben dem Bett stellte.
»Guten Morgen, Mr. Frazier. Frühstück«, sagte der Kellner und verließ lautlos den Raum.
Neal rollte sich unter den gestärkten weißen Laken hervor. Er konnte den starken Kaffee riechen, die Rühreier unter der Haube, das warme mantou – eine große Rolle im Dampf gebackenes Brot. Daneben standen ein Glas Orangensaft, eine Schale Zucker, ein Kännchen Milch. Seit zwei Wochen servierten sie ihm das gleiche Frühstück, und seit zwei Wochen ließ er es sich jeden Morgen schmecken, aß langsam und genoß Geschmack, Geruch und Gefühl.
Die erste… wie lange, eine Woche?… hatten sie ihm nichts Festes zu essen gegeben, nur Kräutertee und später dünne Suppe. Und sie hatten seinen schlaffen Körper mit Nadeln gespickt. Akupunkturnadeln – er hatte immer geglaubt, das wäre Unfug. Aber bald ging es ihm besser: Die Krämpfe verschwanden, der Durchfall kehrte nicht zurück, bald schon konnte er wieder feste Nahrung zu sich nehmen, darunter auch das einigermaßen amerikanische Frühstück, mit dem sie sich so viel Mühe gaben.
Er setzte sich auf, lehnte sich gegen das hölzerne Kopfende und goß sich eine Tasse Kaffee ein. Mein Gott, dachte er, wie schön es ist, sich eine Tasse Kaffee einzugießen. Der erste Schluck – und er war vorsichtig, denn der Kaffee war immer ausgesprochen heiß – war unglaublich schön. Er behielt den Kaffee einen Augenblick im Mund, bevor er schluckte. Dann stand er auf und hinkte ins Bad. Er war noch schwach und dünn, aber er freute sich ungeheuer über die paar Meter, die er allein zurücklegen konnte. Sein Selbstbewußtsein wuchs.
Das Bad war makellos. Neal nahm an, daß selbst Joe Graham das schimmernde Porzellan und die blitzenden Armaturen zu würdigen wüßte. Neal ging aufs Klo – ein wunderbares Gefühl nach Monaten mit und schließlich ohne Eimer –, dann ließ er das Wasser laufen, bis es dampfend heiß war, und wusch sich die Hände.
Werde ich jetzt auch ein Sauberkeitsfreak wie Graham, fragte er sich.
Er stellte das
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