Das Licht in Buddhas Spiegel - Neal Carey 2
Wasser in der Dusche an, setzte sich auf den Toilettendeckel und trank Kaffee, bis es heiß war. Als Dampf hinter dem Duschvorhang aufstieg, zog er seinen Seidenpyjama aus und trat unter die Dusche. Er stöhnte, als das heiße Wasser die dünne Haut an seinen Handgelenken berührte, die bis gestern bandagiert gewesen waren. Er schrubbte sich zehn Minuten mit Sandelholzseife und Shampoo, dann drehte er das Wasser ab. Er mußte sich wieder ein paar Minuten lang auf den Klodeckel setzen, bevor er es schaffte, sich abzutrocknen. Dann zog er seinen Bademantel an, trug das Tablett auf den Tisch vor dem Fenster und begann zu frühstücken.
Essen war wie ein Wunder für ihn. Alles war wie ein Wunder.
Zuerst dachte er, sie wäre im Traum gekommen, wie schon so oft. Er wußte, wenn er zu Bewußtsein käme, würde er wieder in seiner Nische liegen, gefesselt in seinem Schmutz und Elend. Aber dieser Traum war anders.
Er bekam Angst, als sie ihm die Augen verbanden, obwohl es ihre Hand war, die ihn durch die Geschlossene Stadt führte. Er beruhigte sich, als er in ein Auto gesetzt wurde, und nach einer kurzen Fahrt wurde er über etwas geführt, das sich wie ein sanft schwankender Pier anfühlte, dann auf ein Boot. Er wurde nach unten gebracht, dann nahm sie ihm die Augenbinde ab.
Es war, natürlich, Lin Lan. Sie war gekommen, ihn zu holen, und er fragte nicht, warum – es war ihm egal, warum. Er wußte nur, daß sie seine Kuan Yin war. Seine Göttin der Gnade. Sie hatte ihn aus der Hölle befreit, und jetzt gab sie ihm eine Opiumpfeife.
Er döste, während das Boot die Küste entlangfuhr. Sie gaben ihm noch eine Pfeife, dann legten sie ihm die Augenbinde wieder um, und er konnte sich nur dumpf daran erinnern, an Land geführt und auf einen Lastwagen gehoben worden zu sein. Sie nahm ihm die Augenbinde wieder ab, als der Laderaum des Lasters ganz verschlossen war, und sie schienen tagelang unterwegs zu sein, und die Pfeifen schienen seltener und kleiner zu werden.
Er erinnerte sich, mitten in der Nacht aus dem Laster geholt worden zu sein, erinnerte sich an Soldaten, an ihr besorgtes Gesicht, an einen Schmerz am Arm.
»Wir werden uns Wiedersehen«, sagte sie.
Dann erinnerte er sich an nichts mehr, bis er in dem sauberen Bett mit den gestärkten Laken aufwachte.
Und sie war wieder verschwunden.
Hier gab es Ärzte und Schwestern, die so leise und professionell vor sich hinmurmelten wie überall auf der Welt. Sie murmelten ihn an, ließen ihn Tee trinken, massierten seinen wunden Rücken, rieben Salbe auf seine Handgelenke, bandagierten ihn, und dann machten sie einen Menschenigel aus ihm.
Die Tage vergingen, und schließlich kamen nur noch der Kellner, die Masseurin und einmal am Tag der Arzt.
Mit seiner Kraft nahm auch seine Neugier zu. Wo bin ich? Wer hat hier das Sagen? Was passiert als nächstes?
Niemand sagte es ihm. Genaugenommen schien niemand englisch zu sprechen, außer dem Kellner, der jeden Morgen »Guten Morgen, Frühstück« aufsagte. Aus seinem Erdgeschoßfenster sah er einen rechteckigen Parkplatz, von dem aus ein großes Tor zur Straße führte. Ein Drei-Meter-Zaun mit Stacheldraht obenauf verschwand, liebevoll begrünt, linker Hand zwischen ein paar Bäumen. Rechts endete der Zaun an einem anderen Gebäudeteil.
Neal wußte, daß er in einer Stadt war, weil er Verkehrslärm hören konnte. Er brauchte allerdings mehrere Tage, um den Nachmittagslärm als das Klingeln von tausend Fahrradklingeln einzuordnen. Er hörte nur wenige Autos, ein paar Laster.
Also war er vermutlich irgendwo in China.
Wer hatte hier das Sagen? Wer? Er versuchte, sich einen Reim darauf zu machen. Wenn Li Lan wirklich eine chinesische Spionin war, dann mußte er jetzt in den Händen des chinesischen Geheimdienstes sein. Aber warum? Warum ließen sie ihn erst in der Geschlossenen Stadt allein, und dann holten sie ihn wieder heraus? Die erstklassige Behandlung – ich meine, Seidenpyjamas, um Gottes willen! Warum wurde die Tür hinter Arzt, Krankenschwester und Kellner abgeschlossen? Warum hockte er in diesem Luxus-Knast?
Diese Überlegungen führten zwangsläufig zu der Frage, was als nächstes geschehen würde. Was zum Teufel wollten sie von ihm? Was sollte er tun? Natürlich kam er auch auf die wunderbare Idee, daß sie ihn nur aufpäppelten, um ihn nach Hause zu schicken, aber diesen Traum erlaubte er sich nicht. Konzentrier’ dich lieber darauf, gesund zu werden, und dann sehen wir weiter.
Was blieb ihm auch anderes
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