Das Licht in Buddhas Spiegel - Neal Carey 2
auch die Freiheit, und sie fand, die Partei wäre zu… autoritär geworden. Mutter glaubte nicht an »Einbahnstraßen«. Sie sagte, die Welt sei zu groß dafür. Also lehrte sie uns alles. Chinesisch, aber auch englisch. Kommunistisches Denken, aber auch Jefferson-Denken, Lincoln-Denken. Chinesische Musik, aber auch Mozart. Chinesische Malerei, aber auch westliche Malerei, Cézanne, Mondrian. Mutter kritisierte die Partei, und sie dachte, das sei ihre Pflicht. Sie schrieb Briefe an Zeitungen, sie schloß sich den Studenten der Szechuan-Universität an, die Poster aufhängten. Sie kritisierte sogar an Vater, daß er nicht genug zuhörte! Das war ein Witz bei uns daheim, denn danach kochte Vater und bat Mutter, seine Suppe zu kritisieren!
Aber die Hundert-Blumen-Bewegung war eine Falle. Sie dauerte nur einen Monat, von Mai bis Juni, nur ein Hauch von frischer Frühlingsluft, bevor die Türen zuschlugen. Die, die kritisiert hatten, wurden Verräter genannt, wurden Rechte genannt, und eine neue Kampagne ersetzte die Hundert-Blumen-Kampagne. Sie nannten sie ›Anti-Rechts-Kampagne‹.
Der große Vorsitzende wollte nicht die Freiheit der Rede. Die Polizei unterdrückte Zeitungen, brachte Sprecher zum Schweigen, riß die Poster ab. Die Studenten in Chengdu wehrten sich.
Mutter kam weinend nach Hause. Sie hatte die Polizei die Studenten blutig schlagen sehen. Vater sagte, die Ordnung müsse wiederhergestellt werden, und sie wurde sehr wütend auf ihn. In jener Nacht kam die Polizei und holte sie. Wir waren klein und verstanden nicht, aber wir hatten Angst. Mutter kam tagelang nicht zurück, und als sie es tat, sah sie älter aus und traurig. Später erfuhren wir, daß die Polizei sie über ihre Familie befragt hatte, sie angeklagt hatte, eine Kuomintang-Spionin zu sein, ihr Briefe gezeigt hatte, die sie geschrieben hatte, und ihr befohlen hatte, ein »Geständnis« zu unterschreiben. Sie lehnte ab. Eine Woche später kamen die Polizisten wieder und verhafteten sie. Vater sagte, sie wäre zurück zur Schule gegangen, um mehr über Maos Gedanken zu lernen. Ich erinnere mich, daß ich gefragt habe, ob ich mit ihr zur Schule gehen könnte, aber Vater sagte, ich sei zu jung. Hong wollte gegen die Polizei kämpfen, natürlich, aber Vater sagte, sie hätten nur einen Fehler gemacht und würden ihn sicher bald korrigieren. Mutter sei schließlich eine Heldin und Patriotin!
Mutter war über ein Jahr im Gefängnis. Wir besuchten sie zweimal, mehr wurde nicht erlaubt. Vater zog uns unsere schönsten Kleider an, band uns Schleifen ins Haar und ließ uns einen Blumenstrauß pflücken. Wir gingen in ein großes Gebäude am Rande der Stadt. Mutter kam an einen Tisch hinter einem Maschendrahtzaun, und wir zupften die Blätter von den Blumen und schoben sie ihr durch den Zaun. Ich versuchte, nicht zu weinen, aber ich weinte. Mutter versuchte, nicht zu weinen, aber sie weinte. Hong weinte nicht und Vater auch nicht, aber er sah traurig und wütend aus. Ich fragte Mutter, was sie falsch gemacht hatte, und sie sagte, sie sei eine Rechte, weil ihre Eltern Rechte wären. Ich wußte nicht, was ein Rechter war, aber ich erinnere mich, daß ich sagte, wenn sie einer wäre, weil ihre Eltern welche waren, dann müßte ich auch eine Rechte sein. Ich erinnere mich, daß Vater lachte, aber Mutter sah ernst aus und sagte, ich dürfe das nicht sagen, wir Kinder müßten gute Kommunisten sein und die Gedanken des großen Vorsitzenden Mao studieren. Sie sagte, sie studiere viel und hätte eine Menge Geständnisse geschrieben, und wenn sie gelernt hätte, ihre falschen Gedanken zu verbannen, könne sie heimkommen, und wir wären wieder zusammen.
Wir waren wieder zusammen. Aber nicht daheim. Vater wurde aufs Land geschickt, »um zu helfen, die Arbeiter zu reorganisieren«, aber in Wirklichkeit, weil er sich weigerte, sich von Mutter scheiden zu lassen oder sie zu denunzieren. Es war der Beginn des großen Schrittes vorwärts, als das Land in Garden aufgeteilt wurde, und Vater sollte die Arbeiter über die großen Veränderungen unterrichten. Wir verließen unser Appartement in Chengdu und zogen um in ein kleines Dorf – Dwaizhou. Es war sehr fremd für uns, sehr neu, und wir hatten Angst. Die Arbeiter wollten uns zuerst nicht haben, weil es mehr Mäuler zu stopfen galt und wir nichts von der Landwirtschaft verstanden. Vater arbeitete sehr hart, lernte viel und half den Arbeitern dabei, den Parteikadern ihre Probleme zu erklären. Die Arbeiter begannen,
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