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Das Lied der alten Steine

Das Lied der alten Steine

Titel: Das Lied der alten Steine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine
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wandte sich um und taumelte hinaus in das erbarmungslose Sonnenlicht.
    Sie erinnerte sich kaum daran, wie sie durch die Berge zurück zum großen Tempel gefunden hatte oder an ihr tränenvolles Flehen an die anderen Besucher, die sie dort sah, und an den großen blaugewandeten Dragoman einer anderen Yacht, der das Weitere in die Hand nahm, Männer aussandte, um Hassans Leichnam zu holen, ein Boot für Louisa herbeirief, das sie zurück zur Ibis brachte, Frauen aus dem Dorf besorgte, die um den Mann, den sie nicht kannten, jammern und weinen sollten.
    Louisa war es nicht gestattet, ihn noch einmal zu sehen und an seinem Begräbnis teilzunehmen, das vor dem Dunkelwerden stattfand, noch durfte sie auch nur den Ort des Grabes kennen.
    Sie nahm nur von Ferne wahr, dass Augusta die Arme um sie legte, dass Jane Treece ihr aus den staubigen, fleckigen Kleidern half und dass sie selbst in der abgedunkelten Kabine lag. Sie hörte, wie der Anker hochgezogen wurde, das Quietschen der Takelage und das sanfte Klatschen des Flusswassers, dann schlief sie, betäubt von Augustas Laudanum, das man ihr mit einem Getränk eingeflößt hatte, endlich ein.

    Anna starrte Serena an. Beide Frauen hatten Tränen in den Augen. »Arme Louisa. Sie hat ihn so geliebt!« Anna presste das Tagebuch an die Brust.
    »Glaubst du, dass die Forresters von ihrer Liebe wussten?«
    Serena nahm ihre Saftdose, stellte sie aber unangerührt wieder weg.
    Anna zuckte die Achseln. »Ich habe das Gefühl, dass Augusta es ahnte. Dass Sir John so etwas für möglich gehalten hat, glaube ich eher nicht. Wären sie doch nur nicht allein an Land gegangen!
    Wenn sie den Tempel nur vom Schiff aus gezeichnet hätte!«
    Sie saßen eine Weile in Gedanken verloren, dann wandte sich Serena wieder an Anna. »Ich glaube, wir suchen jetzt besser weiter nach Andy, was meinst du?«
    Anna nickte. Dann schüttelte sie heftig den Kopf. »Ich will, dass das alles nur erfunden ist!«, rief sie unvermittelt aus. »Eine Geschichte! Ich will nicht, dass das wirklich geschehen ist.«
    »Es ist wirklich geschehen. Und Hassan ist irgendwo hier draußen gestorben.« Serena nickte zu dem glitzernden Wasser des Sees hin. »Diese Hügel um die Tempelstätte liegen jetzt alle unter dem Wasser des großen Sees. Sein Grab, wo immer es war, gibt es nicht mehr.«
    Ein Schatten fiel auf sie und sie sahen auf. Toby und Omar standen vor ihnen.
    »Bist du in Ordnung?« Toby berührte sanft Annas Schulter. Er hatte die Tränen in ihren Augen gesehen.
    »Wir haben über den Tod von Hassan gelesen«, antwortete Serena für sie.
    Toby seufzte. »Hat der Dreckskerl ihn also umgebracht?
    Armer Hassan. Ich habe Omar erzählt, warum wir Andy dringend finden müssen.« Er sah ihn kurz an. »Er ist bereit, der Geschichte nachzugehen, auch wenn er nicht wirklich an sie glaubt, stimmt’s?«
    Omar nickte. »Mann muss nur glauben, dass man verflucht ist, und schon beginnt der Fluch im eigenen Kopf zu arbeiten«, sagte er. »Ich habe Toby gesagt, ich glaube, dass Andy um den Tempel herumgegangen ist, um die Rückseite anzuschauen.
    Man kann da hineingehen und sehen, wie der künstliche Berg errichtet wurde. Es ist sehr interessant. Soll ich’s Ihnen zeigen?«
    Sie folgten ihm zu den großen Tempelstatuen, wo sich die Massen unvermindert dicht drängten. Daneben führte ein schmaler Eingang in die Felswand hinein. Omar zeigte darauf.
    »Wenn Sie hier hineingehen, werden Sie ihn finden, glaube ich.
    Ich suche woanders für den Fall, dass er sich anders entschieden hat. Ich komme Ihnen bald nach.« Er verbeugte sich und verschwand in der Menschenmenge.
    »Er glaubt nicht an die Gefahr, oder?« Anna ging hinter Toby zum Eingang.
    Er schüttelte den Kopf. »Natürlich nicht. Er glaubt, wir sind durchgedreht. Er sagt, es gibt hier keine Schlangen. Es sind scheue Geschöpfe. Niemals würden sie an einen Ort wie diesen kommen, wo es von Menschen nur so wimmelt. Aber er ist ein sehr guter Führer. Er ist bereit, uns jeden Gefallen zu tun. Und er will, dass niemand von uns unglücklich ist, also tut er sein Bestes und das ist das Wichtigste.«
    Sie traten aus dem Sonnenlicht ins Dunkel des großen Hohlraums unter dem künstlich angelegten Berg, der errichtet worden war, um den wiedererbauten Tempel zu umhüllen. Anna starrte in die riesige Kuppel über ihnen. Einen Moment lang war sie so verblüfft durch dieses fremdartige Nebeneinander von modernster Technik und Jahrtausende altem Tempel, der im Herzen dieses Berges aus dem

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