Das Lied der alten Steine
Raumfahrtzeitalter untergebracht worden war, dass sie nicht anders als stehen und staunen konnte.
Als sie die Stufen hinaufstiegen, gewöhnten sich ihre Augen an das Dämmerlicht. Auch hier gab es dichte Menschenmengen, Plakatwände und einen Getränkestand sowie am Ende der Treppe einen enorm breiten Fußweg. »Wir werden ihn nie finden.« Anna sah sich verzweifelt um. »Ich kann die Gesichter erkennen, aber es sind zu viele.«
»Wir werden ihn finden.« Serena duldete keinen Zweifel. »Ich verspreche dir, dass wir ihn finden.«
Toby ging voraus und musterte mit zusammengekniffenen Augen die Aussichtsplattformen. Er schüttelte den Kopf. »Ich glaube eigentlich nicht, dass er hier ist. Bestimmt hat er sich wieder aus dem Staub gemacht. Omar sagt, dass sich sowieso alle in einer Stunde beim Bus treffen müssen.«
»Es wird hier passieren. In Abu Simbel. Ich weiß es.« Anna war plötzlich wie besessen. »Wir müssen ihn finden.« Sie drehte sich um und bahnte sich ihren Weg zurück zum Eingang. »Wir müssen ihn finden. Wir müssen! Andy!« Ihr Ruf verlor sich in dem weiten Gewölbe.
»Lassen Sie sie gehen!«, rief Toby Serena zu. »Ich glaube nicht, dass er hier ist, aber wir gehen besser systematisch vor.«
Doch Serena hatte sich bereits umgedreht und lief Anna hinterher. Toby blieb, wo er war, und zog die Stirn in Falten.
Dann fuhr er fort, die Gesichter in der Menge zu mustern.
Anna drängte zum Ausgang und blickte immer ängstlicher um sich. Sie hatte immerzu das Bild vor Augen, wie Hassan auf dem Boden lag, sein Körper von der raschen Wirkung des Gifts entstellt. Die Kobra, wenn es eine Kobra war, die leise zu den Liebenden schlich, als sie sich im Schatten der Höhle küssten.
Louisas Verzweiflung und namenlose Trauer, als sie von dem Leichnam ihres Geliebten fortging, den sie nie Wiedersehen sollte.
So wütend sie einerseits auf Andy war, so wenig wünschte sie ihm ein solches Schicksal. Der Zorn machte ihr ein schlechtes Gewissen. Wenn ihm irgendetwas zustieß, dann, weil er das Fläschchen genommen hatte; wenn sie es nicht nach Ägypten gebracht hätte, wenn sie nicht darüber gesprochen hätte, wenn sie ihm das Tagebuch nicht gezeigt, ihn nicht Auszüge daraus hätte lesen lassen, wenn sie ihn nicht in gewisser Weise ermutigt hätte, dann wäre er jetzt nicht in dieser Lage.
Blind drängte sie zu dem einen Ort, an dem sie noch nicht gesucht hatte, dem kleineren Tempel, den Ramses für seine Frau Nefertari gebaut hatte. Er war längst nicht so überlaufen wie der große Sonnentempel.
Ein Fries spannte sich um den Eingang zum Tempel, ein Fries von Kobras. Anna blieb stehen und starrte ihn an. Sie hatte einen Kloß im Hals. Einen Moment lang hielt sie inne, versuchte Ruhe zu gewinnen, dann stürzte sie sich in die Dunkelheit hinter dem rechteckigen Eingang.
Als ihre Augen sich an die Düsternis im Innern gewöhnt hatten, war der Erste, den sie sah, Andy. Er stand da und sah zu einem der Säulenkapitelle hinauf, nah am Ende der Säulenhalle. Sie traute ihren Augen nicht, sah ihn voller Unglauben an, dann ging sie fast zögerlich auf ihn zu und fasste ihn am Arm. Serena, die vielleicht zehn Schritte hinter ihr war, blieb stehen und sah zu.
»Andy?«
Er schrak zurück. »Anna! Was machen Sie denn hier? Sie waren doch nicht im Bus?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe mich nicht wohl gefühlt.
Ich bin später mit Toby in einem Taxi nachgekommen.«
Plötzlich wusste sie nicht, was sie sagen sollte. Sie merkte, dass Serena neben sie getreten war, und warf ihr einen hilflosen Blick zu. »Ich brauche die Parfümflasche, Andy«, brach es endlich aus ihr hervor. »Sie müssen sie mir zurückgeben. Jetzt.«
Er neigte seinen Kopf leicht zur Seite. »Was für eine Parfümflasche?«
»O bitte, Andy. Spielen Sie keine Spiele mit mir.« Sie streckte ihre Hand aus.
Er zuckte mit den Schultern. Sein Gesicht war kalt. »Ich habe sie in Sicherheit gebracht. Auf dem Schiff. Sie glauben doch nicht, dass ich sie hergebracht habe?«
Ein großes Gefühl der Erleichterung ergriff sie. »Wo auf dem Schiff haben Sie sie gelassen?«
»Ich habe sie Omar gegeben, damit er sie an einen sicheren Ort tut.«
Sie schüttelte den Kopf. »Tja, sie ist nicht im Schiffssafe. Ich habe nachgesehen.«
Er kniff die Augen zusammen und sie sah, wie sich seine Kiefermuskeln spannten. »Ach, tatsächlich? Also sind Sie zurückgeblieben, um zu schnüffeln?«
»Andy, ich hatte keine Wahl.« Sie konnte es nicht glauben, dass sie
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