Das Lied der Banshee: Roman (PAN) (German Edition)
Mund zu kommen.
Als sich die Gestalt ins Licht schob, musste ich erst einmal schlucken. Die anderen schienen nicht auf diesen Anblick gefasst gewesen zu sein, denn Aiko murmelte etwas in ihrer Muttersprache, was ich nicht verstand, Pheme hielt die Luft an, und Thomas zog fragend die Augenbrauen hoch. »Was ist das?«
Die Frage konnte ich ihm auch nicht beantworten.
Die Gestalt vor uns war etwa zwei Meter groß und hatte grünes Haar. Auf der linken Hand, die einen groben, bis zum Boden reichenden Mantel zusammenhielt, schimmerten Fischschuppen wie von einem Karpfen. Ihr Gesicht war weder richtig männlich noch richtig weiblich, und die Lippen schimmerten bläulich. Als sie ihre rechte Hand ausstreckte, sah ich zwischen ihren Fingern flossenähnliche Schwimmhäute.
»Die Rauhe Else «, raunte Pheme, als sie wieder wagte, Luft zu holen. »Sie ist die mächtigste Nixe von allen und vor allem die Einzige, die noch gebären kann.«
»Fragt sich nur, ob sich ein Kerl findet, der mit ihr in die Kiste hüpft.«
Thomas keuchte erstickt auf, als ihm irgendwas zwischen einem Schnauben und einem Lachen entwich. Er war der Einzige, der nah genug bei mir stand, um meinen geflüsterten Kommentar zu verstehen.
»Was macht ihr hier, Eindringlinge?«, schallte es drohend durch den Gang.
»Wir sind auf der Suche nach meinem Eigentum«, entgegnete Galatea, die als Einzige nicht von dem Anblick schockiert zu sein schien. »Die Steinmänner haben es gestohlen, doch es ist mein.«
Die Rauhe Else blickte die Nymphe zornig an. Erst jetzt bemerkte ich, dass sie gelbe Schlangenaugen hatte. Also ehrlich, mit dem Aussehen konnte es nur schwierig sein, einen Mann zu finden.
Mein Galgenhumor blieb mir allerdings im Halse stecken, als die Rauhe Else weitersprach.
»Wer mein Reich betritt, wird mit dem Tod Hochzeit halten.«
»Sehr kompromissbereit ist sie wohl nicht, wie?«, flüsterte Aiko.
»Nein, warte, wir wollten wirklich nicht dein Reich verletzen«, versuchte Galatea sie zu beschwichtigen. »Wir wussten ja nicht mal, dass du hier unten lebst.«
»Ihr werdet sterben. So lautet das Gesetz für jene, die die Grenze überschreiten.«
»Kompromisslos blutgierig, würde ich mal sagen«, murmelte Thomas.
»Ich fürchte, gleich müssen wir rennen«, gab ich zurück.
Die Augen der Rauhen Else leuchteten auf einmal wie Taschenlampen, während sich der Rest ihrer Gestalt verfinsterte. Nur ihr Gesicht blieb sichtbar und schwebte geisterhaft über der Dunkelheit. Konnte ein Götterkind sämtliches Licht aus seiner Umgebung abziehen? Diese Light-Show konnte nur magischen Ursprungs sein.
Die Frage würde ich später klären müssen, denn die alte Nixenkönigin riss nun den Mund auf. Kurz erhaschte ich einen Blick auf spitze Zähne, dann schoss Wasser aus ihrem Mund.
Der dicke Strahl war so kräftig, dass ich ihn wie einen Schlag in die Magengrube spürte, und riss uns alle von den Füßen. Wasser spritzte mir in die Augen, so dass ich sie zukneifen musste. Auf einmal war überall Wasser, die Flut zerrte an meinem Körper, schleuderte mich herum und trieb mich schließlich gegen einen der Pfeiler. Meine Finger rutschten über den nassen Stein, bevor es mir gelang, mich daran festzuhalten.
Während das Wasser mich von hinten an den Pfeiler drückte und die Wellen mir gegen den Hinterkopf klatschten, versuchte ich, die anderen auszumachen. Warum verwandelten sie sich nicht? Gut, Aikos Feuer würde durch das Wasser wohl gleich wieder gelöscht werden, aber was war mit Pheme?
Und mit mir?
Ich spürte, wie sich die Krake in meiner Brust ausdehnte, wie immer angetrieben durch meine Panik. Als ich die Augen kurz vor dem heranstürmenden Wasser schloss, erblickte ich das Gesicht meiner Mutter.
Sie sagte nichts, aber ich hatte das Gefühl, dass sie mich zum Handeln aufforderte. Welchen Effekt das haben würde, wusste ich nicht, doch ich schloss die Augen und versuchte in die Tiefen meiner Echos vorzudringen. Meine Angst erwies sich als hilfreich, denn plötzlich erhoben sich in rascher Folge sieben Frauengesichter nacheinander vor mir. Das war eigentlich viel zu tief für eine kleine Abwehr, aber angesichts der Wassermassen hatte ich keine andere Wahl.
Ich riss den Mund auf und schrie!
Der Schall trieb das Wasser von mir weg, türmte es im gegenüberliegenden Ende des Ganges auf, und die Rauhe Else verschwand in den Wassermassen. Ich sah mich nicht um, hörte aber, wie mehrere schwere Körper zu Boden plumpsten und stöhnten. Vorerst hatte
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