Das Lied der Banshee: Roman (PAN) (German Edition)
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Als schließlich nur noch ein vertrocknetes, von ledriger Haut überzogenes Skelett übrig geblieben war, ließ Polyphemos von ihm ab.
»Wir werden gleich sehen, wer hier unbesiegbar ist«, murmelte er, während er mitleidlos auf die Kreatur blickte. »Carmilla, versammle die Lamien und Ghule.«
Während sich die Lamie eilig aus der Halle zurückzog, wandte er sich den Käfigen mit den Harpyien zu, deren Augen in blanker Blutgier glühten. Ihr Kreischen schwoll laut an, als Polyphemos den Hebel berührte, der ihre Gitter öffnen würde.
26. Kapitel
W as war mit Macius? War er tot? Oder hatte seine Energie zum Senden nicht mehr ausgereicht?
Mir wurde übel, ich schnappte nach Luft und sank auf den Waldboden. Was ging nur mit mir vor? Ich konnte mich zwar noch bewegen, aber ich fühlte mich richtig krank. Auf einmal wurde mir wieder schwarz vor Augen. Kam etwa noch etwas? Ich spürte nichts mehr, hörte nichts mehr, und schließlich verschwanden auch meine Gedanken. Erst nach einer Weile kehrten sie zurück.
Macius!
Mein Magen krampfte sich zusammen, und ich schluchzte auf.
»Aileen!« Thomas war beinahe sofort bei mir und nahm mich in die Arme. »Ist ja gut. Ich bin bei dir.«
»Was ist los?«, fragte ich benommen.
»Du warst für gut zehn Minuten weggetreten.«
Erleichtert ließ ich mich gegen ihn sinken, aber Zeit für Träumereien hatten wir nicht.
»Hast du wieder eine Botschaft bekommen?«, fragte Pheme, worauf ich nickte.
»Ja, Macius …« Sollte ich ihr sagen, dass er vielleicht tot war? Bisher hatte noch keine Übertragung so abrupt geendet. Dann entschied ich mich dagegen. »Der Wächter weiß, dass wir hier sind. Wir sollen …«
Da ertönte ein lautes Donnern. Am Himmel zogen mit unheimlicher Geschwindigkeit Wolken auf, die sich verdichteten und schwarz wurden. Gleichzeitig erreichte der Wind Sturmstärke und wirbelte Äste und Blätter rings um uns auf.
»Der Wächter ist erwacht«, raunte Jean, während er ehrfurchtsvoll zu den Wolken hinaufblickte.
»Dann werden wir ihm mal ein bisschen Feuer unter dem Hintern machen.« Aiko nahm ihre Oni-Form an.
Pheme blickte nachdenklich zur Burg hinauf, die durch ein Loch im Blätterdach deutlich erkennbar war. Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass wir ihr schon so nah waren. »Die Wolken sind eine Herausforderung. Er wird sich uns nicht zeigen, bis wir hineingehen.«
»Thomas«, flüsterte ich und zog seinen Kopf dicht vor meinen Mund. »Macius sagt, dass du in die Burg gehen sollst, und zwar genau in dem Augenblick, wenn sich der Wächter blicken lässt.«
»Ich kann dich doch nicht …«
»Ich werde zurechtkommen, die anderen sind ja auch noch hier. Aber du musst in die Burg, du und kein anderer. Nur ein Mensch kann die Götter durch das Becken anrufen. Du wirst für die anderen Götterkinder uninteressant sein, also geh rein und suche nach einem Raum im Keller, in dem ein Spiegel, nein, ein leuchtendes Becken steht.«
»Und wenn ich es gefunden habe?«
»Dann bittest du die Götter um Hilfe. Sie werden auf die Stimme eines Menschen hören. Du bist unsere einzige Hoffnung, verstehst du. Du darfst dich nicht um mich sorgen, sondern musst das Becken finden.«
»Dann breche ich gleich auf.«
»Nein, sonst reißen dich die Lamien oder was sich auch immer in dieser Burg versteckt auseinander. Halte dich abseits und warte, bis der Wächter kommt. Dann gehst du rein und findest das Becken.«
Die anderen standen schweigend um uns herum. Ich wollte Thomas küssen, denn ich hatte Angst, dass dies hier unsere letzte Gelegenheit war, aber ich konnte einfach nicht, während die anderen auf uns hinabblickten. Also küsste ich ihn auf die Stirn und bat ihn dann, mir aufzuhelfen.
Thomas nickte und zog mich hoch. Die Übelkeit wütete immer noch in mir, doch ich versuchte, mich zusammenzureißen. Jetzt ging es um alles. Das würde das Ende sein, so oder so. Entweder unseres oder das des Wächters. Konnte man einen Wächter überhaupt töten?
Ich wünschte, Macius wäre hier!
»Vielleicht solltest du deinen Drachen rufen«, sagte Pheme zu Aiko und deutete auf die Zinnen der Burg, die dunkle Gestalten umkreisten.
Harpyien.
»Wir sollten sehen, dass wir hineinkommen«, murmelte Jean, der sich nun wieder in einen Satyr verwandelte.
»Ist die Sonne etwa untergegangen, und ich hab’s nicht mitbekommen?«, wunderte ich mich.
Er lächelte. »Einmal im Monat, bei Vollmond, verwandle ich mich unwillkürlich. Doch es ist nicht so, dass ich meine
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