Das Lied der Banshee: Roman (PAN) (German Edition)
ausgekleidet ist, könnte es ihnen gelingen, uns zu belauschen.«
»Wie soll das eine flackernde Lampe verhindern?«
»Sie sieht nur aus wie eine flackernde Lampe, in Wirklichkeit gibt sie Geräusche von sich, die nur die Tiere im Boden hören können. Welches Götterkind auch immer das Gehör eines dieser Tiere benutzt, wird nichts anderes vernehmen als diese Geräusche. Aber keine Gespräche.«
»Dann müssten ja überall die Lampen flackern.«
»Das tun sie auch, wenn es nötig ist.«
»Was, wenn die Nyxianer herausfinden, dass wir hier sind?«
Pheme lachte auf. »Wahrscheinlich wissen sie es bereits. Aber selbst wenn, können sie nicht hier durchkommen. Wir werden genug Zeit haben, um alles vorzubereiten. Falls sie doch hier aufkreuzen, werden wir gerüstet sein.«
Das hoffte ich sehr.
Wieder in unserem Gang angekommen, huschte Pheme rasch in ihre Kammer und kehrte mit einer Lupe zurück. Sie war in einen goldfarbenen Rahmen eingepasst, der mit einem Federmuster verziert war.
»Hier, das sollte helfen.«
»Eine Lupe?«, fragte ich verwundert. »Ich habe kein Problem damit, die Buchstaben zu sehen, sie sind groß genug.«
»Diese Lupe ist ein Schriftenleser. Er wird die Buchstaben nicht vergrößern, sondern in eine Form bringen, die du lesen kannst. Du musst nur einen Tropfen Blut auf die Feder hier oben geben, und schon wird sich die Schrift deinem Wissen anpassen.«
Damit legte Pheme mir die Lupe auf die Hand.
Sie war recht schwer. Entweder bestand sie aus echtem Gold oder vergoldetem Eisen. Aber wie sollte das funktionieren?
»Das ist ein altes Erbstück unserer Familie«, erklärte Pheme nun. »Meine Mutter hat es mir einst gegeben, als Andenken.«
»War deine Mutter auch eine Sirene?«
»Ja, das war sie. Und sie ist es noch.«
»Deine Mutter lebt?«
»Ja, allerdings ist es Brauch, dass, wenn eine neue Sirene in eine Familie hineingeboren wird, der eine Sirene vorsteht, das Mädchen die Familie verlassen muss, sobald es vierzehn Jahre alt ist. Meine Mutter hat mir diese Lupe als Abschiedsgeschenk gegeben. Es war eines der wertvollsten Dinge, die sie besaß. Ich habe mich schon damals sehr für alles Geschriebene interessiert. Meine Mutter meinte zum Abschied, dass sie mich trotz allem, was uns von dem Augenblick an trenne, immer lieben würde.« Ein wehmütiger Zug verschattete Phemes Gesicht.
»Hast du sie jemals wiedergesehen?«
Pheme schüttelte den Kopf, als wollte sie den Schatten vertreiben. »Nein, bisher nicht. Sofern sie nicht in einem Krieg miteinander kämpfen müssen, gehen sich Mütter und Tochter aus dem Weg. Das ist nötig, damit eine der anderen nicht ihr Territorium streitig macht.«
Territorium? Sie waren doch keine Tiere, die ein Revier brauchten. Aber wenn ich das laut aussprach, würde Pheme mir vermutlich an die Gurgel gehen, also hielt ich besser den Mund.
»Jetzt solltest du wieder an die Arbeit gehen. Die Aufzeichnungen sind wichtig, jede von uns kennt sie.«
»Du kannst mir nicht schnell erzählen, was da drinsteht?«
»Nein«, entgegnete Pheme schroff. »Jede von uns muss sie selbst lesen.«
Damit wandte sie sich wieder um und verließ den Gang.
Ich betrachtete die Lupe. Sie sah hübsch aus, aber ziemlich normal für eine magische Lupe.
Kurz dachte ich daran, sie Thomas zu zeigen, aber Pheme war ziemlich nachdrücklich gewesen, also setzte ich mich lieber gleich wieder an die Bücher.
Am Schreibtisch angekommen, betrachtete ich skeptisch die Lupe – oder was auch immer es war. Wo sollte ich den Blutstropfen noch mal hintun?
Ich strich mit dem Zeigefinger über die Feder, die Pheme mir gezeigt hatte. Blutreste konnte ich nicht erkennen, also war sie offenbar schon lange nicht mehr benutzt worden.
»Aua!«
Erschrocken zog ich die Hand zurück. Etwas hatte mich in den Finger gestochen, und als ich auf die Feder sah, die ich eben berührt hatte, erblickte ich eine Nadel, an der mein Blut klebte.
So ein blödes Ding. Davon hatte Pheme mir gar nichts gesagt.
Ich kniff die Augen zusammen, als ich einen Blutstropfen auf meiner Fingerkuppe hervorquellen sah.
Verdammter Mist! Klar, ich hätte mir die Verletzung so oder so zufügen müssen, aber mir wäre es lieber gewesen, wenn ich darauf vorbereitet gewesen wäre. Außerdem, wer weiß, was an dieser Nadel klebte. Nachher bekam ich noch eine Entzündung! Oder eine Blutvergiftung. Ich mochte vielleicht eine Banshee sein, doch das hatte mich bisher nicht vor irgendwelchen Erkältungen oder anderen
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