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Das Lied der Dunkelheit

Das Lied der Dunkelheit

Titel: Das Lied der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter V. Brett
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Arlen«, entgegnete Ragen. »Aber wenn man sich mit Horclingen anlegt, verliert man meistens. Die Krasianer töten eine Menge von ihnen, doch die
Horclinge sind einfach stärker als sie. Mit jedem Jahr verringert sich die Anzahl der Krasianer.«
    »Mein Dad sagt, die Horclinge fressen deine Seele, wenn sie dich kriegen«, erzählte Arlen.
    »Bah!« Ragen spuckte über die Seitenwand des Karrens. »Blödsinniger Aberglaube!«
    Sie fuhren um eine Wegbiegung, die nicht mehr weit von den Holzfällerhütten entfernt lag, und plötzlich bemerkte Arlen, dass vor ihnen etwas an einem Baum hing und heftig hin und her pendelte. »Was ist das?«, fragte er und zeigte in die Richtung.
    »Bei der Nacht!«, fluchte Ragen, schnalzte mit den Zügeln und trieb die Maultiere zu einem Galopp an. Arlen wurde auf dem Kutschbock nach hinten geworfen und brauchte eine Weile, um sich wieder gerade hinzusetzen. Als er sich auf seinem Platz zurechtgerückt hatte, blickte er direkt auf den Baum, der in rasender Eile näher kam.
    »Onkel Cholie!«, schrie er. Er sah, dass der Mann verzweifelt mit den Beinen strampelte und seine Finger in den Strick krallte, der seinen Hals zusammenschnürte.
    »Hilfe! Hilfe!«, kreischte Arlen. Mit einem gewaltigen Satz sprang er von dem rollenden Karren und landete unsanft auf dem harten Boden; doch behände rollte er sich ab, kam wieder auf die Füße und rannte, so schnell er konnte, zu Onkel Cholie. Keuchend stellte er sich unter den Mann, aber einer der wild zuckenden Füße traf seinen Mund, und er stürzte zu Boden. Er schmeckte Blut, doch sonderbarerweise fühlte er keine Schmerzen. Hastig rappelte er sich hoch, packte Cholies Beine und versuchte, den Mann anzuheben, damit der Strick sich lockerte; doch er war zu klein, und obendrein war Cholie ein Schwergewicht, deshalb hörte das Würgen und Zappeln nicht auf.

    »Hilf ihm!«, brüllte Arlen Ragen an. »Er erstickt! So unternimm doch irgendetwas!«
    Er blickte hoch und sah, wie Ragen aus dem hinteren Teil des Karrens einen Speer zog. Der Kurier holte weit aus und schleuderte den Speer, ohne sich Zeit zum Zielen zu nehmen. Aber er war treffsicher; der Strick zerriss, und Cholie fiel auf Arlen. Beide wälzten sich im Dreck.
    Im Nu war Ragen zur Stelle und löste den Strick von Cholies Hals. Es schien nichts zu nützen, denn der Mann würgte immer noch und umklammerte mit beiden Händen seine Kehle. Die Augen quollen so weit hervor, dass es aussah, als wollten sie aus den Höhlen treten, und sein Gesicht war violett verfärbt. Arlen stieß einen Schrei aus, als Cholie sich noch einmal aufbäumte und dann reglos liegenblieb.
    Ragen schlug mit den Fäusten auf Cholies Brust und blies Atem in seine Lungen, doch es hatte keinen Zweck. Schließlich stellte der Kurier seine Bemühungen ein, sank auf dem Boden in sich zusammen und stieß eine Reihe von Flüchen aus.
    Arlen war mit dem Tod vertraut. Dieses Gespenst war ein häufiger Gast in Tibbets Bach. Aber meistens starben die Leute durch einen Angriff der Horclinge oder an einer bösen Erkältung. Was sich hier abgespielt hatte, war jedoch etwas völlig anderes.
    »Warum?«, wandte er sich hilflos an Ragen. »Warum hat er letzte Nacht so tapfer gekämpft, nur um sich heute selbst umzubringen?«
    »Hat er wirklich gekämpft?«, fragte Ragen. »Hat sich überhaupt jemand gewehrt? Oder sind alle nur weggelaufen, um sich zu verstecken?«
    »Ich weiß nicht …«, begann Arlen zögernd.
    »Sich zu verstecken genügt nicht immer, Arlen«, fuhr Ragen fort. »Manchmal trägt das sich Verstecken dazu bei, dass etwas
in dir getötet wird. Und selbst wenn du dann einen Angriff der Dämonen überlebst, ist ein Teil von dir doch abgestorben.« »Was hätte er denn tun können, außer davonzurennen und sich zu verstecken?«, begehrte Arlen auf. »Gegen einen Dämon kann man nicht kämpfen.«
    »Lieber würde ich einem Bär in seiner eigenen Höhle entgegentreten«, gab Ragen zu, »aber unbesiegbar sind die Dämonen nicht.«
    »Sagtest du nicht vorhin, die Krasianer stürben aus, weil sie sich gegen die Dämonen zur Wehr setzen?«, protestierte Arlen.
    »Das stimmt ja auch«, räumte der Kurier ein, »aber die Krasianer folgen ihren Herzen. Ich weiß, es klingt verrückt, Arlen, aber tief in ihrem Innern sehnen die Männer sich danach zu kämpfen, so wie es früher üblich war. Die alten Legenden berichten davon. Sie wollen ihre Frauen und Kinder beschützen, weil es die Aufgabe eines Mannes ist, seine Familie vor Unheil

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