Das Lied der Dunkelheit
seine Sammlung aus glatten
Steinen, die er sich im Bach zusammengeklaubt hatte, sowie eine Kollektion aus Federn und Knochen. Jeph nahm eine grellbunte, ungefähr zehn Zoll lange Feder in die Hand und spielte damit, während er sprach, ohne Arlen in die Augen zu blicken.
Arlen wusste, was das zu bedeuten hatte. Wenn sein Vater ihm nicht ins Gesicht sehen konnte, hieß das, dass es ihm schwerfiel, über ein bestimmtes Thema zu sprechen.
»Was du auf der Straße gesehen hast, als du mit dem Kurier unterwegs warst …«, hob Jeph an.
»Ragen hat es mir erklärt«, fiel Arlen ein. »Onkel Cholie war bereits tot, er wusste es nur noch nicht. Manchmal überleben Leute einen Angriff und sterben trotzdem.«
Jeph furchte die Stirn. »So hätte ich es nicht ausgedrückt«, meinte er. »Aber irgendwie stimmt es schon, denke ich. Cholie …«
»War ein Feigling«, beendete Arlen den Satz.
Verdutzt starrte Jeph ihn an. »Wie kommst du darauf?«, fragte er.
»Er versteckte sich im Keller, weil er Angst hatte zu sterben. Und dann brachte er sich selbst um, weil er Angst hatte zu leben«, erklärte Arlen. »Er hätte lieber eine Axt nehmen und im Kampf fallen sollen.«
»Solches Gerede will ich nicht hören«, ermahnte Jeph ihn. »Gegen Dämonen kann man nichts ausrichten, Arlen. Niemand ist ihnen gewachsen. Es ist nichts dabei gewonnen, wenn man sich in Gefahr begibt und getötet wird.«
Arlen schüttelte den Kopf. »Die Dämonen sind wie gewalttätige Menschen«, behauptete er. »Sie attackieren uns, weil wir zu ängstlich sind, uns zu wehren. Seit ich Cobie und die anderen Jungs mit dem Stock verprügelt habe, lassen sie mich in Ruhe.«
»Cobie ist kein Felsendämon«, hielt Jeph ihm entgegen. »Mit einem Stock kannst du keine Horclinge vertreiben.«
»Irgendeinen Weg muss es geben«, erwiderte Arlen. »Früher haben die Leute doch auch gegen Dämonen gekämpft. In sämtlichen alten Legenden ist davon die Rede.«
»In den Legenden heißt es, es hätte damals magische Siegel gegeben, mit denen man kämpfen konnte«, versetzte Jeph. »Diese Kampfsiegel gingen verloren.«
»Ragen sagt, in manchen Gegenden setzt man sich auch heute noch gegen die Horclinge zur Wehr. Er sagt, sie seien nicht unbesiegbar.«
»Ich werde mir den Kurier mal vorknöpfen müssen«, grummelte Jeph. »Er soll deinen Kopf nicht mit solchem Blödsinn füllen.«
»Warum nicht?«, muckte Arlen auf. »Vielleicht hätten gestern Nacht mehr Menschen überlebt, wenn die Männer sich alle mit Äxten und Speeren bewaffnet hätten …«
»Dann wären sie jetzt genauso tot«, fiel Jeph ihm ins Wort. »Es gibt andere Methoden, um sich und seine Familie zu schützen, Arlen. Weisheit. Klugheit. Demut. Man ist kein Held, wenn man sich in einen Kampf stürzt, den man nicht gewinnen kann.
Wer soll sich um die Frauen und Kinder kümmern, wenn alle Männer getötet werden, weil sie versuchen, einen Feind zu bezwingen, der nicht zu besiegen ist?«, fuhr er fort. »Wer soll das Holz fällen und die Häuser bauen? Wer soll auf die Jagd gehen, Vieh züchten, die Äcker bestellen und Tiere schlachten? Wer soll mit den Frauen Kinder zeugen? Wenn alle Menschen im Kampf sterben, haben die Horclinge die Schlacht gewonnen.«
»Die Horclinge sind so oder so schon dabei, uns zu vernichten«, murmelte Arlen. »Du klagst doch dauernd, die Gemeinde würde von Jahr zu Jahr kleiner. Gewalttäter kommen
immer wieder, wenn man sich nicht ein Herz fasst und zurückschlägt.«
Er blickte zu seinem Vater hoch. »Sag, Dad, ist dir denn nie danach zumute? Möchtest du nicht auch manchmal kämpfen?«
»Natürlich möchte ich das, Arlen«, gab Jeph zu. »Aber ich würde es nie grundlos tun. Wenn es darauf ankommt, wenn es wirklich wichtig ist, dann sind alle Männer bereit zu kämpfen. Tiere laufen weg, wenn sie können, und sie kämpfen, wenn es unbedingt sein muss. Bei den Menschen ist das nicht anders. Doch der Wunsch, Gewalt anzuwenden, sollte einen nur dann überkommen, wenn es gar keine andere Möglichkeit mehr gibt.
Aber eines schwöre ich dir, Arlen«, fuhr er fort. »Wenn du da draußen wärst, oder deine Mam, und die Horclinge wollten euch angreifen, dann würde ich kämpfen wie verrückt, um euch zu beschützen. Verstehst du den Unterschied?«
Arlen nickte. »Ich glaube schon.«
»Braver Junge«, meinte Jeph und drückte seine Schulter.
In dieser Nacht träumte Arlen von Hügeln, die so hoch waren, dass sie den Himmel berührten, und riesengroßen Teichen, auf deren
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