Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)

Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)

Titel: Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Holeman
Vom Netzwerk:
messen. Seinen Eltern war klar, dass er das Zeug zu einem Führer hatte, und sie beobachteten interessiert, wie respektvoll und vorsichtig sich die anderen ihm gegenüber verhielten und sich ihm stets beugten.
    Kolja wiederum war sensibel und von schmächtigem Körperbau. Seine Mutter war froh, dass er sich lieber im Haus aufhielt und Violine spielte statt draußen im kalten Wind. Abgesehen davon war der Junge mit seinen langen lockigen Haaren, großen Augen und seinem zarten Körper ein willkommenes Angriffsziel für die anderen Jungen. Sobald er sich auf der schlammigen Straße blicken ließ, die den Ort zerteilte, begannen sie ihn zu hänseln.
    Wenn Kolja das Haus verließ, musste Tima ihn beschützen. Dieser ärgerte sich, weil er immer auf seinen kleinen Bruder aufpassen musste. » Beeil dich, Kolja. Kannst du nicht schneller gehen? « , drängte er den kleinen Bruder, der hinter ihnen hertrottete, während er mit großen Schritten ging, um nicht von seinen Kameraden abgehängt zu werden. » Steck deine Hände in die Taschen, wenn sie kalt sind, und hör auf, mir damit in den Ohren zu liegen. «
    Wenn Kolja stolperte und sich die Knie aufschürfte, weinte er und wollte nach Hause, aber Tima schüttelte den Kopf. » Du musst aufhören, eine solche Memme zu sein, Kolja. Du kannst nicht wegen jedem Wehwehchen zu Mama rennen « , sagte er, um dann, nachdem er sich mit einem kurzen Blick über die Schulter vergewissert hatte, dass die älteren Jungen es nicht sahen, Koljas Nase mit seinem Ärmel abzuwischen. » Und wehe, dass du nachher Mama deswegen was vorweinst « , fügte er hinzu, indem er auf Koljas Knie deutete, » sonst bekomme ich wieder Ärger, weil ich nicht richtig auf dich aufgepasst habe. Versprich es. « Und Kolja nickte schniefend.
    Aleksandr und Ula schenkten ihre ganze Aufmerksamkeit Kolja, weil Kolja sie brauchte. Timofei hingegen war von früh an selbstständig und einfallsreich. Mit elf half er seinem Vater schon in der Werkstatt. Temudschin war ein Jahr zuvor gestorben, und Aleksandr hatte dessen Part, das Fertigen der Fassreifen aus Holz, selbst übernommen. Timofei kam nun täglich mit in die Küferei, wo ihn Aleksandr beibrachte, wie man Fassdauben herstellt, so wie Temudschin es ihn Jahre zuvor gelehrt hatte. Zuerst mussten die Holzbohlen zu Dauben gespalten werden, die zu den Enden hin verjüngt wurden, damit sie zusammengefügt die Tonnenform eines Fasses ergaben. Dazu brauchte man ein genaues Auge, nicht nur um den richtigen Verjüngungsgrad abzuschätzen, sondern auch um Astknoten oder Faserabweichungen im Holz zu entdecken. Tima hatte es auf Anhieb heraus. Als Nächstes machte Aleksandr ihn mit den benötigten Werkzeugen bekannt: der Dechsel, dem Zugmesser, dem Klopfholz, einer Reihe von Meißeln und Hobeln. Dann lernte Tima, die Außenseiten der Dauben glatt zu schleifen und die Innenseiten leicht auszuhöhlen. Schließlich wurden die Dauben eingeweicht, um sie anschließend biegen zu können. Und wenn sie mithilfe von Reifen zu einem Fass zusammengefügt waren, versiegelte Tima es mit Pech.
    Im Laufe der Zeit blühte das Geschäft immer mehr, und Vater und Sohn kamen mit den Bestellungen gar nicht mehr nach, sodass Aleksandr einen weiteren Mann einstellte, Antip. Überall, nicht nur in Tschita, sondern auch in den umliegenden Dörfern und Weilern, wurden ihre Fässer zum Lagern von Vorräten gebraucht.
    Aleksandr sorgte dafür, dass Tima jeden Tag zwei Stunden früher Schluss machte als er und Antip, damit er auf seinen kleinen Bruder aufpassen konnte. So hatte seine Mutter Zeit, Besorgungen zu machen, ohne den Kleinen überallhin mit hinnehmen zu müssen. Die Eltern hatten Timofei aufgetragen, bei schönem Wetter mit Kolja an die frische Luft zu gehen und darauf zu achten, dass der Kleine nicht gehänselt wurde oder sich wehtat.
    Aber nach einem ganzen Arbeitstag wollte Timofei lieber ein paar Stunden mit seinen Freunden verbringen, statt sich um den kleinen Bruder zu kümmern. Obgleich ein Teil von ihm ihn durchaus beschützen wollte, verdross es ihn zusehends, und zwar je mehr man ihn in seine Beschützerrolle drängte, dass Kolja mit zunehmendem Alter kein bisschen robuster wurde.
    Eines Nachmittags, als Tima auf der festgestampften Erde der Straße kniete und mit drei Freunden mit Steinen um Geld spielte, hörte er Koljas Rufe von weiter unten auf der Straße. Dabei hatte er ihm gesagt, er solle auf ihn warten, bis er fertig war!
    » Tima! Tima, hilf mir! «
    Tima blickte

Weitere Kostenlose Bücher