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Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)

Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)

Titel: Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Holeman
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wie bei einem ausgeweideten Fisch quellen die Gedärme hervor und ergießen sich ins Stroh. Seine Augen sind noch im Tod weit aufgerissen.
    Um den schlanken Hals des Pferdes ist ein raues Seil mit einem daran befestigten Stück Holz geschlungen. Darauf hat jemand mit Kohle zwei unbeholfene Sätze voller Schreibfehler gekritzelt: Das pasiert du tust nich was wir sagen.
    » Wo ist Grischa? « , fragt sie.
    » Ich habe ihn gesucht, Gräfin, aber in seinem Haus ist er nicht « , sagt Ljoscha und wischt sich mit dem Ärmel über die Augen. » Wissen Sie, wo er ist? «
    Hinter sich hört sie rasche Schritte, und einen Moment später steht Grischa neben ihr. Er hält sich am oberen Balken des Pferdständers fest und blickt entsetzt auf das Pferd hinab. Sein Gesicht ist kalkweiß.
    Antonina will nicht zusehen, wie er leidet. » Es tut mir leid, Grischa « , sagt sie mit leiser Stimme, ohne ihn anzuschauen.
    » Lass ihn uns beerdigen, Fjodor « , sagt er mit harter Stimme.
    » Aber wir verbrennen die toten Tiere. Es wird schwierig sein, ein so großes Loch … «
    » Wir sind genügend Leute. Er wird nicht verbrannt, hast du verstanden? «
    » Ist in Ordnung, Grischa « , sagt Fjodor. » Wenn die Gräfin einverstanden ist « , fügt er hinzu und dreht sich zu ihr, den Blick auf den Boden geheftet, wie er es gewohnt ist.
    Sie bemerkt, dass er auf ihre nackten Füße starrt.
    Als ihr bewusst wird, dass sie einen Stallleibeigenen – einen ehemaligen Stallleibeigenen, verbessert sie sich – dazu nötigt, ihre nackten Füße anzusehen, ruft sie sich in Erinnerung, wer sie ist. » Natürlich. Wie Grischa es wünscht. Danke, Fjodor « , sagt sie, woraufhin er den Blick von ihren Füßen hebt und ihr ins Gesicht schaut. Sie weiß nicht, ob sie sich nur einbildet, dass in Fjodors Blick ein Anflug von Respektlosigkeit liegt. Doch dann nickt er den anderen Männern zu, und Antonina tritt zur Seite, näher zu Grischa hin, um Platz zu machen, während die Männer ein großes Segeltuch über den Kadaver breiten. Mit unterdrückten Flüchen und Stöhnen machen sie sich daran, Feljas Überreste aus dem Stall zu schleifen.
    Antonina beobachtet sie, bemerkt, dass Ljoscha noch immer mit den Tränen kämpft. Er ist wirklich ein lieber Junge, denkt sie. Nein, ein Mann, schickt sie hinterher. Er ist schon neunzehn gewesen, und er hat nichts Grobes oder gar Brutales an sich.
    Sie denkt an Fjodors geprellte Fingerknöchel und die tiefe Schramme auf seinem Handrücken. Gehört er zu den Männern, die Felja abgeschlachtet haben? Um dann vor ihr Bestürzung zu heucheln, damit sie keinen Verdacht schöpft?
    Doch dann sagt sich Antonina, dass ihre Fantasie mit ihr durchgeht. Die Hände der Knechte sind immer von Narben und frischen Schrammen übersät, das bringt die harte körperliche Arbeit mit sich. Fjodor und Raisa haben schon lange, bevor sie als junge Braut nach Angelkow kam, für Konstantin gearbeitet, und Fjodor war immer ein respektvoller, tüchtiger Stallmeister.
    » Wartet « , ruft sie, und die Männer halten inne. » Schneidet dieses Holzbrett von dem Seil am Pferdehals und gebt es mir « , befiehlt sie. Grischa beobachtet, wie Ljoscha es ihr reicht.
    » Es ist eine Warnung « , sagt Grischa.
    Sie mustert das splittrige Holzstück. » Eine Warnung? Wovor, Grischa? «
    Grischa hat Lew das Geld nicht gegeben. Und nun ist sein geliebtes Pferd tot. Sie werden immer dreister. » Treffen Sie heute Nachmittag den Anwalt? « , fragt er, statt ihr zu antworten.
    » Oh, das hatte ich ganz vergessen. Bei der ganzen Aufregung und Konstantin, der im Sterben liegt … « Sie sehnt sich nach Grischas Trost. » Ich wünschte, ich könnte die Verabredung absagen, aber Jakowlew wird bereits unterwegs sein. Willst du immer noch … soll ich dich rufen, wenn er da ist? «
    Er nickt – nur ein leichtes Neigen seines Kopfes – und geht, lässt sie einfach allein stehen. Sie sieht auf das Holzbrett in ihrer Hand und dann auf ihre nackten Füße. Plötzlich spürt sie die Kälte.
    Als sie wieder in ihrem Zimmer ist und mit Tinka auf dem Arm am Fenster steht und die Stirn an die Scheibe lehnt, fröstelt sie. Das splittrige Brett liegt auf dem Tisch beim Kamin. Das pasiert du tust nich was wir sagen. Wer tut nicht, was wer sagt? Es war Grischas Pferd. Galt die Warnung ihm?
    Ihr Sohn ist verschwunden, und ihr Mann … wer weiß, was mit ihm geschehen wird? Die Dienstboten verlassen nach und nach das Gut. Sie hat eine schreckliche Sünde begangen. Und nun wurde ein

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