Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)
sehe, wie … «
Ihr Vater fiel ihr mit betont milder Stimme ins Wort. » Der Graf ist unser Gast, meine liebe Tochter, und er hat darum gebeten, dass wir während des Abendessens nicht über Geschäftliches reden. Und du wirst natürlich so höflich sein, seinen Wunsch zu befolgen. «
Als ein Diener den Silberdeckel von der dampfenden Suppenschüssel vor ihr lüpfte, lehnte sich Antonina auf ihrem Stuhl zurück. » Ja, Vater « , sagte sie.
Nachdem sie das Dessert, eine Torte mit eingemachten Beeren, gegessen hatten und man den Samowar hereingebracht hatte, bat Prinz Olonow Antonina, für Graf Mitlowski eine Passage aus Puschkins » Eugen Onegin « zu rezitieren. » Nur den Anfang vom Zweiten Buch, Antonina « , sagte er.
» Bitte, Vater « – es widerstrebte ihr, noch länger am Tisch sitzen zu müssen –, » ich bin sicher, Graf Mitlowski hat schon unzählige Male Strophen aus ›Eugen Onegin‹ über sich ergehen lassen müssen. Bestimmt würde er sich furchtbar langweilen. «
» Oh, ich kann Ihnen versichern, Antonina Leonidowna « , sagte Graf Mitlowski, » dass dies nicht der Fall ist. Ich würde wirklich gern etwas daraus hören. Es ist einige Jahre her, dass eine junge Frau Gedichte für mich rezitiert hat. « Er lächelte; er hatte gerade Zähne, wenngleich sie von Tee und Nikotin ein wenig verfärbt waren, und sein Lächeln ließ ihn beinahe charmant aussehen. » Sie haben eine wunderbare Stimme und können bestimmt sehr gut rezitieren. «
» Ja, nun komm schon, Tosja. « Prinz Olonow sah sie eindringlich an.
Sie legte ihre Serviette auf den Tisch und stand, sich räuspernd, auf.
» Dein Haar, Antonina Leonidowna « , sagte ihr Vater. Sie betastete mit der Hand ihre Frisur, fühlte ein paar Haarsträhnen, die sich aus den Nadeln gelöst hatten. Sie versuchte, sie wieder hochzustecken. Und an seinen Gast gewandt sagte er: » Sei versichert, Konstantin Nikolajewitsch, dass meine Tochter im Grunde recht fügsam ist, auch wenn sie nicht die typisch weiblichen Interessen zu teilen scheint. «
Antonina sah ihren Vater scharf an, sie war wütend und gleichzeitig beschämt. Was ihr mangelndes Interesse an Frisuren und der neuesten Mode betraf, mochte ihr Vater ja recht haben, aber was den ersten Teil seiner Bemerkung betraf, so war das eine glatte Lüge. Er wusste genau, wie eigensinnig sie war.
» Sieh nur, was für eine reizende Farbe du auf Antonina Leonidownas Wangen gezaubert hast « , sagte Graf Mitlowski, worauf sie die Hände zu Fäusten ballte und sie in den Falten ihres Kleides verbarg.
Einen Augenblick war es im Esszimmer still. Nur das laute Ticken der Goldbronzeuhr auf dem Kaminsims war zu hören und das Geräusch, mit dem die Tür aufschwang, und das leise Klirren von Porzellan, als ein Diener mit einem Tablett hereinkam, auf dem Tassen, Untertassen und eine Schüssel mit Zuckerstücken standen. Während der Diener die Tassen und den Zucker auf den Tisch stellte, sich dann verbeugte und wieder hinausging, blieb Antonina mitten im Raum stehen.
» Würdest du bitte so freundlich sein und uns Tee einschenken, bevor du beginnst, meine Tochter « , sagte ihr Vater. » Damit wir ihn trinken können, während du uns etwas vorträgst. «
Nachdem sie Untertasse und Tasse vor Graf Mitlowski auf den Tisch mit der schweren Damasttischdecke gestellt hatte, ergriff er unerwartet ihre Hand. » Tragen Sie beim Reiten keine Handschuhe, Antonina Leonidowna? « , fragte er. Überrascht sah sie zuerst ihn an, dann ihren Vater und nochmals den Grafen. Was für eine merkwürdige und intime Frage, wie sie fand. Und wie unangemessen von ihm, sie zu berühren.
» Wenn ich kann, verzichte ich in der Tat lieber darauf « , antwortete sie.
» Aber Ihre Haut ist von der Kälte etwas rau geworden. « Er drehte ihre Hand um und betrachtete ihre Handfläche. » Und diese Schwielen von den Zügeln, meine Liebe. Sie sollten besser auf diese jungen Hände Acht geben. «
Die Art, wie er ihre Hand hielt, leicht und doch besitzergreifend, beunruhigte sie. Sie entzog sie ihm und sah erneut ihren Vater an, suchte … ja, was genau? – irgendeine Bestätigung von ihm, und sei es nur ein Zeichen, dass es richtig war, dass die ungewollte Aufmerksamkeit dieses Mannes ihr Unbehagen einflößte. Aber ihr Vater schenkte ihr stattdessen ein Lächeln.
» Tut mit furchtbar leid, Graf Mitlowski « , sagte Antonina, » aber ich fürchte, ich kann nicht länger bleiben, um Ihnen etwas vorzutragen. Ich muss noch etwas Wichtiges
Weitere Kostenlose Bücher