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Das Lied der Klagefrau

Das Lied der Klagefrau

Titel: Das Lied der Klagefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Lebensretter! Kommt, setzt Euch zu uns.«
    Abraham quetschte sich zwischen zwei Königliche Hoheiten und setzte sich
vis-à-vis
zu Lichtenberg.
    »Ihr wollt Eure Sorgen also in Alkohol ertränken?«, begann Lichtenberg das Gespräch.
    »Ihr wisst es also auch schon, Herr Professor?«
    »Ich höre die Flöhe husten, und diese Flöhe sagen mir, dass Eure letzte Nacht nicht die angenehmste war und dass Ihr darauf eine bessere folgen lassen solltet. He, Hilda, bring dem Doktor
in spe
einen Wein auf meine Kosten. Los, los, ich weiß, dass du heute für mich zuständig bist.«
    Lichtenberg strahlte sie an und sagte dann zu Abraham: »Ich habe mich extra so gesetzt, dass Hilda mich bedienen muss. Sie ist die neue Schankmagd, ein strammes Weib!«
    Das war Abraham bekannt, ihm fielen die Bemerkungen Lichtenbergs zu den Tagundnachtgleichen im Gesicht einer Frau ein, doch es schien ihm unangebracht, daran zu erinnern. Ihm lagen andere Dinge auf der Zunge. Zunächst jedoch gebot es die Höflichkeit, sich nach der Gesundheit seines Gegenübers zu erkundigen. »Wie geht es Euch, Herr Professor?«
    »Der Appetit ist gut, wie Ihr seht, und der Durst steht ihm in nichts nach. Ich habe festgestellt, dass sich die Zipperlein sehr wohl in Alkohol ertränken lassen. Die meisten jedenfalls.«
    »Habt Ihr die Medikamente weggelassen, wie ich es Euch riet?«
    »Nun, vielleicht ein paar. Wenn ich es genau sagen sollte, müsste ich lügen. Und lügen darf ich doch nicht, Herr Doktor
in spe,
oder?«
    Klingenthal musste schmerzlich daran denken, dass es bei ihm mit dem Doktortitel wahrscheinlich nichts mehr werden würde, versuchte aber dennoch einen Scherz. »Ich habe Euch viel frische Luft auf dem Stadtwall verordnet, Herr Professor, aber Euch heute Morgen dort nicht gesehen.«
    »Mein lieber Abraham« – Lichtenberg faltete die Hände wie zum Gebet – »Bewegung und frische Luft tun zweifellos gut, aber alles zu seiner Zeit. Ah, da kommt Euer Wein. Danke, Hilda, mein schönes Kind. Ich sage immer: Trinken, wenn es nicht vor dem fünfunddreißigsten Jahr geschieht, ist nicht so sehr zu tadeln. Prosit!«
    »Prosit.«
    »Cheers!«
    Dass die jungen Prinzen seiner Auffassung zuwiderhandelten, schien den Professor nicht zu stören. Er trank genussvoll und verkündete: »Solange ich gesund bin, soll die aufgehende Sonne mich nie im Bett finden.«
    Abraham wunderte sich einmal mehr über den seltsamen Mann. Sosehr er einerseits Koryphäe war, so sehr war er andererseits fröhlicher Zecher. Der Zeitpunkt, ihn über weitere Eigenschaften des Elektrophors zu befragen, schien denkbar ungeeignet.
    Gerade wollte er es trotzdem versuchen, als Lichtenberg erneut nach Hilda rief. Wieder orderte er Wein und schmetterte Abrahams Einwand, er dürfe ihn nicht immer einladen, mit einer Handbewegung ab. »Unsinn, nehmt den Rebensaft nur an. Als
Philistrant
muss man auf den Pfennig sehen. Im Übrigen macht es mir viel zu viel Freude, mich bei dem hübschen
Reibzeug
spendabel in Positur zu bringen. Hilda erinnert mich an meine liebe Margarethe. Margarethe ist ohne priesterliche Einsegnung meine Frau, müsst Ihr wissen. Ich gestehe es frei heraus, weil’s mich nicht schert, was die Leute plappern, und weil’s sowieso stadtbekannt ist.
Honi soit qui mal y pense,
haha. Ach,
by the way,
ihr hochwohlgeborenen Söhne: Wie heißt der französische Satz auf Deutsch?«
    »Ein Narr, wer Arges dabei denkt, Herr Professor«, antwortete Adolf Friedrich, der Jüngste, der dabei verschwörerisch grinste.
    »Und was hat es mit dem Satz auf sich?«
    »Es ist der Wahlspruch des Hosenbandordens, des wichtigsten Ordens im Vereinigten Königreich.«
    »
Très bien, mon cher.
Wenn Ihr so weitermacht, tragt auch Ihr ihn vielleicht irgendwann unter dem Knie. Aber um auf die gute deutsche Sprache zurückzukommen: Hilda erinnert mich sehr an Margarethe, und da meine liebe Fast-Gattin auf den Nachnamen Kellner hört, müsste eigentlich sie hier servieren – und Hilda zu Hause auf mich warten. Ach, welch erregender Gedanke!« Lichtenberg kicherte.
    Abraham schielte nach links und rechts zu den Prinzen, aber die schienen sich nicht im mindesten an den schlüpfrigen Kapriolen ihres Mentors zu stören. Auch nicht, als dieser weitersprach: »Der liebe Gott würde meine letzten Worte ganz sicher nicht gutheißen, insofern dank ich ihm tausendmal, dass er mich zum Atheisten hat werden lassen.«
    Abraham lachte höflich.
    »Davon abgesehen, gebe ich zu, dass die Lehre Christi, gesäubert von

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