Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Lied der Klagefrau

Das Lied der Klagefrau

Titel: Das Lied der Klagefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
Vom Netzwerk:
es
convenabel
machen. Ich will eine Buchsbaumhecke drumherum haben und zwei Magnolien vorn und hinten, und am Boden will ich Steinkraut. Ach, ich seh’s schon vor mir, wie im Frühling die Farbe von den Magnolienblüten mit dem Rosa von dem Rosenquarz harmonieren. Ein wahres Labsal!«
    »Lasst uns nicht mehr davon reden, Mutter Vonnegut«, sagte Alena, die es kaum erwarten konnte, dass die Witwe die Tafel aufhob.
    »Aber nur, wenn du die Mondfinsternis aus deinem Gesicht verbannst. Ich sag’s euch allen: Wäre ich eine regierende Fürstin, wie’s die Maria Theresia in Wien war, so würd ich es wie der Imperator Cäsar halten: Lauter fröhliche Gesichter müssten an meinem Hof zu sehen sein, denn das sind der Regel nach gute Menschen.«
    »Gibt es Nachtisch, Mutter Vonnegut?«, fragte Amandus.
    »Pflaumenkompott. Es steht auf der Anrichte. Hilf Alena, es zu verteilen. Und du auch, Claus, damit ihr beide euch das Grienen abgewöhnt.« Die Witwe wartete, bis alle ihre Portion vor sich hatten, und redete dann weiter. »Aber die Duckmäuser, die immer unter sich sehen, ob ihnen da jemand am Stuhle sägt, die haben was vom Kain an sich.«
    »Kain?«, fragte Jakob mit vollem Mund. »Kenn ich nicht.«
    »Der Kain – von Kain und Abel.« Die Witwe schüttelte den Kopf. »Ihr junge Brut reitet alle möglichen Fakultäten, aber von der Heiligen Schrift versteht ihr nichts. Luther hat Gott zu Kain sagen lassen:
Warum verstellst du deine Gebärde?,
aber es heißt eigentlich im Grundtext:
Warum lässt du den Kopf hängen?
«
    »Ja, Mutter Vonnegut.«
    »Merkt euch das. Bei allem Trirum Trarum, das ihr heute lernt, kann’s nicht schaden, auch den Herrn Luther zu kennen. Und darüber den Kopf nicht hängen zu lassen, nur weil ich von meinem Grab rede. Auch du nicht, Alena. Wenn’s allen geschmeckt hat, dürft ihr jetzt aufstehen. Hat es allen geschmeckt?«
    »Ja, Mutter Vonnegut.«
    »Das ist
bon bon
in meinen Ohren. Und nun ab mit euch. Aber nicht, bevor ihr Alena beim Wegräumen geholfen habt. Sie ist ein tätig Ding und sagt euch, wo die Hände gebraucht werden.«
    Ächzend erhob die Witwe sich, griff zur Liqueurflasche und einem Glas und verschwand in ihre Privatgemächer.
    Alena atmete auf. Mit flinken Händen räumte sie das Geschirr fort und weichte es im Handstein ein. Die
Burschen,
die ihr helfen wollten, schickte sie fort. Sie standen ohnehin bei dieser Tätigkeit nur im Weg.
    Es war schon ein Viertel vor neun, als sie endlich mit allen hausfraulichen Arbeiten fertig war. Sie zog sich in ihr halbes Zimmerchen zurück und trat vor den kleinen Spiegel, der neben der Tür an der Wand hing. Sie blickte hinein. Im letzten Schein des Tageslichts schaute ihr eine ernste junge Frau entgegen, in deren schwarzem Haar sich ein paar Strähnen selbständig gemacht hatten. Sie seufzte. Gern hätte sie sich eine kunstvolle Frisur gemacht, sich die Haare hochgesteckt und zu beiden Seiten ihres Gesichts Korkenzieherlöckchen gedreht, aber ihr fehlte das Brenneisen. So reichte es nur zu einer straff nach hinten gekämmten Frisur und einem
Chignon,
dessen Sitz sie durch eine silberne Nadel verstärkte.
    Sie schnitt sich selbst eine Grimasse, denn sie fand sich mit dem Haarknoten alles andere als schön.
    Aber schön wollte sie sein. Für Abraham. Sie wagte zwar noch immer nicht, zu glauben, dass er sie, wie Heinrich versichert hatte, noch liebte, aber sie wünschte es sich mittlerweile von ganzem Herzen. Wenn er doch nur heil aus dieser schrecklichen Sache mit dem Pommeraner herauskommen würde! Hasselbrinck, der Besorgte, hatte zu diesem Punkt auch nichts Näheres sagen können. Nur dass alle von Abrahams Unschuld überzeugt waren. Doch würde auch der Prorektor dieser Auffassung sein?
    Alena schlüpfte aus dem Hauskittel und zog ihr einziges farbiges Kleid an, das bordeauxrote, zu dem ein lindgrünes
Chemisette
mit feiner Klöppelspitze gehörte. Dazu setzte sie sich eine gestärkte weiße Haube auf den Kopf.
    So gefiel sie sich schon besser. Obwohl sie zu den wenigen Vertreterinnen ihres Geschlechts gehörte, die von Natur aus rote Lippen und einen makellos reinen Teint besaßen, hätte sie beides am liebsten noch durch die Farbe der Koschenille und ein wenig Wangenrouge unterstrichen. Aber es musste auch so gehen.
    Sie wandte sich zur Tür und hielt inne. Ein Gedanke war ihr gekommen, so schrecklich, dass er ihr den Atem raubte. Was war, wenn Abraham womöglich schon im Gefängnis schmachtete? Wenn es so wäre, könnte sie sich

Weitere Kostenlose Bücher